20130118 merkur interview: Sammer? Ach, was heißt

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Philipp Lahm sieht den FC Bayern auf einem sehr guten weg. © M.I.S.

Aktualisiert: 18.01.13 17:21

BAYERN-KAPITÄN LAHM IM MERKUR-INTERVIEW

"Sammer? Ach, was heißt Nervensäge ..." 

München - Bayern-Kapitän Philipp Lahm spricht im Merkur-Interview über die Strategie seines Klubs, Guardiola, Sammer, Parallelen zu Gladiatoren und schlackernde Ohren.

Zum Rückrundenstart 2012 sagte Philipp Lahm: „Läuft alles normal, kann uns keiner gefährlich werden.“ Im Interview erläutert der Bayern-Kapitän, wie es um seinen Klub zum Start in das Spieljahr 2013 steht.

Herr Lahm, fällt Ihre Prognose heuer vorsichtiger aus als vor einem Jahr?

Philipp Lahm: Nein. Es ist genau das Gleiche, es läuft alles nach Plan. Normal kann uns keiner aufhalten. Nur wir selbst. Immer vorausgesetzt, wir rufen unsere Leistung ab. Aber dann dürfte nichts anbrennen. Nur ist auch klar: Gewinnen wir gegen Fürth nicht, gibt es ein Riesenecho von den Medien – und zwar ein unschönes.

Letzte Saison hat der FC Bayern insgesamt elf Punkte gegenüber Dortmund verspielt – wie sehr motiviert es, sich das stets vor Augen zu führen?

Lahm: Wir sind gewarnt. Wir müssen in der Rückrunde gleich vom ersten Spieltag an präsent sein, so dass alle da oben in der Tabelle sofort merken: „Hoppla, die Bayern lassen diesmal keine Federn.“ Die Preise werden erst im Mai verteilt. Vielleicht können es die Leute nicht mehr hören, dass wir immer wieder betonen, dass es noch viel harter Arbeit bedarf. Aber mir gefällt das, weil es mir zeigt, wie sehr jeder bei uns verinnerlicht hat, dass wir diesmal kein bisschen nachlassen dürfen.

Es gilt also die Devise „Holzauge, sei wachsam“.

Lahm: Ganz genau. Wir haben noch keinen Titel.

Im Nachklapp der letzten Saison inklusive EM gab es Kritik an der Generation Kroos/Özil: Hochtalentiert, aber im Zweifel ohne Biss. Ist das ein halbes Jahr später nun besser?

Lahm: Ach, ich weiß nicht, ob das eine andere Generation ist. Da ist keine so große Lücke zum Beispiel zu Basti Schweinsteiger und mir. Wir haben talentierte Spieler, bei Bayern und der Nationalmannschaft. Mit dem Verein waren wir zwei Mal in den letzten drei Jahren im Champions League-Finale, mit der Nationalelf waren wir zuletzt bei jedem großen Turnier mindestens unter den Top 4. Das gab es alles nicht oft in der Geschichte. Trotzdem: Man wird immer an Titeln gemessen. Das weiß meine Generation genau wie die Generation um Toni Kroos. Dass das alles so sehen, merke ich derzeit bei jedem Training. Da steckt Gier in jedem.

Sind das momentan der beste FC Bayern und die beste Nationalelf, in der Sie je gespielt haben?

Lahm: Schwer zu sagen. Aber unser Trainer hat ja gesagt, wir spielen bei Bayern so modern, attraktiv und zeitgemäß wie nie – und ich finde, wenn ein Jupp Heynckes so etwas sagt, hat das schon etwas zu bedeuten. Er ist so erfahren, hat schon so viel erlebt. Da will ich nicht widersprechen. Die letzten Jahre hat sich im deutschen Fußball und bei Bayern enorm viel entwickelt. Jetzt fehlen nur noch die Titel.

Bastian Schweinsteiger meinte dieser Tage, der jungen Generation müsse man vielleicht noch ein bisschen was vom Naturell Hermann Gerland einimpfen. Was meint er damit?

Lahm: Er meint, dass man hart arbeiten muss für Titel. Und zwar bis zur letzten Minute. Ein bisschen Gerland schadet nie. Wenn du denkst, du hast alles schon im Sack, kann es leicht schiefgehen. Siehe Chelsea. Ich weiß nicht, ob diese Einstellung unseren jungen Spielern noch fehlt. Aber wir haben in den letzten Jahren nichts gewonnen – also muss irgendetwas fehlen. Vielleicht ist es der letzte Hunger. Aber der ist jetzt da, ich weiß es.

Nach der letzten Saison sagten Sie, Italien sei bei der EM cleverer gewesen. Chelsea war es wohl auch. Wie holt man diesen Rückstand auf – es gibt ja kein Cleverness-Seminar?

Lahm: Früher haben wir nicht immer Hurra-Fußball gespielt, dafür ist aber auch mal weniger angebrannt. Wir wollen das wieder reinbekommen. Die Attraktivität muss dabei nicht auf der Strecke bleiben, das sieht man bei Barcelona und auch bei vielen Hinrundenspielen von uns. Es ist uns gelungen, den Mix zu finden, sehenswerten Offensivfußball zu spielen, ohne dabei die Rückwärtsbewegung aus den Augen zu verlieren. Es gibt Spiele, die einem schwerfallen, wenn man alle drei Tage aufs Feld geht. Aber die muss man dann eben gewinnen – auch mal ohne Glanz.

Als Sie Anfangs Ihrer Karriere an den VfB Stuttgart ausgeliehen waren, erlebten Sie Matthias Sammer als Coach – war er damals schon so eine Nervensäge wie heute als Sportvorstand des FC Bayern?

Lahm: Ach, was heißt Nervensäge? Er spricht Dinge klar an, die ihm auffallen. Und er wartet da nicht eine Woche, sondern er reagiert sofort. Das tut der Mannschaft sehr gut. Jeder Einzelne bleibt somit wach.

Aber wenn man gerade gegen Basel 3:0 gewonnen hat, und der Chef holt aus zur großen Generalkritik – denkt ein Spieler da nicht: „Lass mal gut sein!“

Lahm: Nein. Denn unser Maßstab ist ja nicht, einen FC Basel, der gerade mal eine Woche Lauftrainingslager hinter sich hat, zu schlagen. Unser Anspruch ist ganz oben. Wir wollen gegen die besten Mannschaften von Europa bestehen, gegen Barcelona, Real, Manchester. Deshalb musst du auch in guten Phasen kritisch bleiben. Wenn du nach einer Niederlage auf den Tisch haust, ist es ja schon ein Spiel zu spät.

Aber braucht die Mannschaft wirklich jemanden, der kitzelt – nach zwei Jahren ohne Titel sollte der Eigenantrieb doch groß genug sein?

b Ich würde das nicht als Kitzeln bezeichnen. Wichtig ist, dass Matthias Sammer sofort Dinge anspricht. Und dagegen sperrt sich auch keiner, weil jeder weiß, das bringt uns alle nach vorne. Es bringt nichts, wenn wir uns ständig immer in den Armen liegen.

Wenn Führungsspieler etwas sagen, sollten die anderen mit den Ohren schlackern, lautet Ihr Credo. Haben Sie in dieser Hinrunde schon mal die Ohren schlackern lassen?

Lahm: Klar gab es Phasen, in denen klare Worte gefragt waren. Oft geht es da um minimale Dinge. Es haben diese Saison zwar noch nicht so besonders häufig die Ohren geschlackert. Aber unsere Prüfungen kommen sicher noch, und ich bin zuversichtlich, dass das eine oder andere nicht zum einen Ohr rein- und zum anderen wieder rausgegangen ist. Das ist ja auch wichtiger, als wenn Ohren schlackern.

Vor gut drei Jahren beklagten Sie, Top-Teams seien auf acht Positionen strategisch top besetzt. Bei Bayern sei das nicht der Fall. Hat sich das geändert?

Lahm: Ja, absolut.

Also läuft inzwischen alles nach Wunsch?

Lahm: Wir haben uns in den letzten Jahren enorm entwickelt. Ich hatte einmal angemahnt, dass wir uns früher nicht so punktuell verstärkt haben, wie es bei einem Top-Verein nötig ist, dass uns eine übergeordnete Linie fehlt. Heute stellt sich der Klub ganz anders da. Wenn man so will, ist das ein neuer FC Bayern, in dem die Strategie stimmt. Wir befinden uns jetzt schon seit längerer Zeit auf Augenhöhe mit Europas Top-Teams, und das ist kein Zufall. Dass sich jetzt ein Pep Guardiola für den FC Bayern entschieden hat, sagt zudem doch eindeutig aus, dass es um die Strategie beim FC Bayern bestens bestellt ist.

Sammer plant, sich gezielt um deutsche U-Nationalspieler zu bemühen.

Lahm: Das ist auch ein Ansatz, der absolut Sinn macht. Wir sind der deutsche Branchenführer, da sollte es ein Ziel sein, die größten Talente unter Vertrag zu haben. Zumal die Ausbildung hier einfach sehr, sehr gut ist. Wir haben diese super Talente in Deutschland – warum sollte man die nicht zum FC Bayern holen? Das heißt aber jetzt nicht, dass man nur noch blind deutsche Junioren verpflichtet. Der FC Bayern braucht immer auch einen Ribery, Robben, Martinez. Es gilt einfach stets die Frage: Wer hilft punktuell weiter?

Der breite Kader steht für viele Optionen – aber auch für Härtefälle ...

Lahm: Es wird immer unzufriedene Spieler geben – und extreme Härtefälle. Es ist auch klar, dass es einen Kern geben muss, der die meisten Spiele macht und die wichtigsten Spiele auf dem Platz beginnt.

Wo erwarten Sie die extremsten Härtefälle?

Lahm: Arjen Robben drängt in die erste Elf, Thomas Müller hat aber viel gepunktet auf der rechten Außenbahn. Thomas kann auf vielen Positionen spielen, auch Arjen ist variabel. Ich sehe da kein großes Duell, da wird mir oft zu viel konstruiert. Härtefälle gibt es überall: Von drei Top-Stürmern kann nur einer spielen, im defensiven Mittelfeld ist das Gedränge groß. Aber unser Anspruch ist, bis zum Mai in allen Wettbewerben dabei zu sein. Da gehören hochwertige Optionen dazu. Wir wissen ja, wie es letztes Jahr war. Da hat uns in der einen oder anderen Situation eine gute Alternative gefehlt.

Philipp Lahm: Rückblick auf die Traumhochzeit

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Sie sagten mal, Fußballer dürfen keine Schwäche zeigen, seien wie Gladiatoren. Ist das gerade beim FC Bayern so wie nie der Fall?

Lahm: Am Ende wollen wir alle gewinnen. Und zwar immer. Auch im Training. Das erinnert mich ab und zu an eine Gladiatorenschule. Es gehört auch im Training mal dazu, dass es Ärger gibt. Keiner gibt seinen Platz freiwillig ab. Wir sind alle Leistungssportler.

Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, Ihrer Generation laufe langsam die Zeit davon, einen großen Titel zu gewinnen?

Lahm: Ich sehe beim FC Bayern und bei der Nationalelf noch viel Potenzial. Wir haben alles, um große Titel zu gewinnen. Ich habe Vertrauen in diese Mannschaften. Beim FC Bayern können wir zum Beispiel sicher noch einige Jahre um die größten Titel mitspielen, dafür ist das Fundament einfach stark genug. Dirk Nowitzki hat zehn Jahre Anlauf gebraucht, um die NBA zu gewinnen. Wenn mein Vertrag ausläuft, bin ich erst 32. Mir läuft die Zeit nicht davon.

Täuscht der Eindruck, oder hat ein Wechsel ins Ausland inzwischen jeglichen Reiz verloren?

Lahm: Im Moment ist das für mich gar kein Gedanke. Ich finde beim FC Bayern alles, was ich mir vorstelle. Und ich bin hier aufgewachsen, das ist mein Verein – ich will für diesen Verein viele Titel holen. Und natürlich die Champions League. Das ist mein Antrieb.

Interview: Andreas Werner


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