20170818/merkur/„Ich werde nie ein Bürohengst sein

https://www.merkur.de/sport/fc-bayern/lahm-will-als-unternehmer-erfolgreich-sein-8607619.html

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„Ich bin gut in der Welt ,draußen’ angekommen“: Philipp Lahm, hier beim Besuch seines Sommercamps. Seine Stiftung feiert Zehnjähriges.


Philipp Lahm über den FC Bayern, sein neues Leben, seine Stiftung, Geborgenheit, Glück, utopische Zahlen und Kinder-Briefe

München – Philipp Lahm, 33, steht der Ruhestand gut zu Gesicht. Er kommt gelöst und locker zum Interview. Gerade hat er eine Runde über das Sommercamp seiner Stiftung gedreht, nachher fährt er zu seiner Familie an den Tegernsee. Am Ende des Interviews wird er dem Reporter auf die Schulter klopfen, fast mitfühlend: „Viel Glück für die neue Saison!“ Dem früheren Kapitän des FC Bayern fehlt der ganze Trubel kein bisschen.


-Herr Lahm, die Bundesliga startet – ohne Sie. Wie fühlt sich das an?

Komischerweise bereits normal. Ich bin jetzt seit drei Monaten aus dem Fußball und der ganzen Branche raus. Jetzt genieße ich meine Freiheiten und bin rundum zufrieden.

-Es kribbelt null?

Nullkommanull. Ich habe seit dem letzten Spieltag mit meinem Sohn Julian (fünf Jahre/Red.) gekickt und für meinen Heimatverein Gern zum Spaß bei einem Legendentreffen, das war’s. Ansonsten hatte ich kein Verlangen, mal am Ball zu sein. Der Zeitpunkt, aufzuhören, war auch dieses Mal der richtige. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Mit der Geburt meiner Tochter Lenia ist zuhause viel los, ich bin ausgefüllt. Es gibt genug Aufgaben für mich, ob Projektbesuche wie beim Sommercamp oder die Teilnahme an Vorstands- und Kuratoriumssitzungen meiner Stiftung sowie meine verschiedenen Beteiligungen, da muss ich mich einlesen, einarbeiten. Ich möchte mir dafür auch genügend Zeit nehmen und bei allem anderen etwas kürzer treten.

-Wie verfolgen Sie die Bundesliga? Als Fan?

Fan kann man da nicht sagen. Dafür war ich zu lange dabei. Ich fiebere natürlich mit dem FC Bayern. Wenn es nicht so wäre, wäre das komisch. Als Experte oder Prophet will ich nicht auftreten – aber ich denke, es wird schwer, die Bayern in der Meisterschaft aufzuhalten. Sie an einem Tag auf dem falschen Fuß zu erwischen, das geht – aber auf einer Distanz von 34 Spieltagen am Ende vor ihnen zu sein, das ist eine verdammte harte Aufgabe, auch in dieser Saison wieder.

-Die 222 Millionen Euro für Neymar waren das große Thema des Sommers. Wie sehen Sie die Summe, in Ihrem Zwischenportal als Ex-Profi, Privatier, Firmen- und Stiftungsgründer?

Zunächst muss man sagen, dass im Fußball schon immer viel Geld gezahlt wurde. Aber bis vor wenigen Jahren gab es utopische Zahlen, von denen keiner gedacht hätte, dass sie mal wirklich ein Thema werden würden. Bis vor Kurzem konnte man die Beträge ja wenigstens noch bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen – aber bei 222 Millionen tue ich mich persönlich schon sehr schwer. Das ist eine utopische Zahl – noch dazu nur für einen Menschen, für einen Fußballer. Da geht es mir wie jedem Fan: Ich kann diese Zahl nicht mehr greifen. Aber so ist die Entwicklung. Ich kann unmittelbar nichts ändern, muss es aber nicht gut finden.

-Wie kann man sich Ihren Alltag so vorstellen?

Ich teile mir alles möglichst flexibel ein, den Luxus gönne ich mir bewusst nach all den Jahren im streng geregelten Fußballprofibetrieb. Ich mache gerade . . . wie sagt man so schön? Partnernetzwerke aufbauen. Ich treffe mich mit verschiedenen Leuten und habe das Glück, dass ich als Kapitän des FC Bayern und der Nationalelf viele interessante Menschen aus Politik und Wirtschaft kennenlernen durfte. Ich möchte bis 2018 kürzer treten – aber das heißt nicht, dass ich auf der Couch liege. Dazu bin ich nicht der Typ.

-Sind Sie schon ein Bürohengst?

Nein, ein Bürohengst bin ich nicht und werde es auch nie sein. So sehe ich mich nicht. Ich werde Erfahrungen sammeln, aber ich kann mir mich nicht am Schreibtisch montags bis freitags von acht bis 18 Uhr vorstellen. Mir liegt es eher, Netzwerke aufzubauen. Jetzt bin ich bei Sixtus 100prozentiger Anteilseigner, und ich möchte das Unternehmen in einem Team aufbauen. Ich fand es als Kapitän stets wichtig, Verantwortung zu übernehmen, aber auch Aufgaben abzugeben und zu vertrauen.

„222 Millionen – daskann ich nicht greifen“

-Gibt es Persönlichkeiten, an denen Sie sich in Ihrem neuen Leben orientieren? Haben Sie Biographien auf dem Nachtkastl?

Ich lese viel, und es gibt viele interessante Charaktere, bei denen es sich immer lohnt, Gedanken aufzugreifen. Roman Herzog fällt mir spontan ein. Er war bei der Stiftungsgründung im Kuratorium sofort Feuer und Flamme, hat uns sehr geholfen, und es gibt etliche Aussagen von ihm, über die ich Tage nachgedacht habe. Es war mir ein persönliches Anliegen, im Frühjahr beim Staatsakt anlässlich seines Begräbnisses in Berlin dabei zu sein. Aber ich muss meinen eigenen Weg gehen. Inhalte wie Ernährung, Bewegung, Kommunikation sind mir wichtig, auch bei der Auswahl meiner Beteiligungen und Mitgestaltung der Unternehmen. Ich möchte das mit Firmen tun, die zu meinen Themen und Werten passen.

-Als was wollen Sie in Zukunft wahrgenommen werden? Jetzt sind Sie als einer der besten Fußballer der deutschen Geschichte in Erinnerung . . .

. . . was sich schon gut anhört (lacht). Das wird hoffentlich so bleiben. Trotzdem: Dieses Kapitel ist zu Ende. Ich hoffe, dass man in mir irgendwann mal nicht nur den ehemaligen erfolgreichen Fußballspieler sieht. Das will ich eigentlich nicht. Ich möchte außerhalb des Fußballs erfolgreich sein. Dabei strebe ich nicht den schnellen Erfolg an. Sondern Kontinuität. Ich will über die Zeit etwas Stabiles aufbauen.

-Als Familienvater und generell als Mensch wollen Sie ein offenes Weltbild vermitteln, sagten Sie vor einem Jahr. Man dürfe sich auch in Zeiten von Terror und weltweiten Konflikten nicht von Angst leiten lassen. Bleiben Sie dabei?

Ja. Die ideale Welt wird es nie geben. Wenn ich die Nachrichten verfolge, habe ich auch meine Sorgen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir unseren Kindern Geborgenheit vermitteln. Ich habe zum Glück erleben dürfen, wie bedeutsam eine intakte Familie ist. Wenn sich ein Kind geborgen fühlt, kann es Selbstvertrauen entwickeln, kann sich – wie auch hier im Camp – selber entdecken. Wie verhalte ich mich in Gruppen, in der Gesellschaft? Das wurde mir in meiner Familie vermittelt. Geborgenheit ist das Schönste, was man geben kann. Daraus kann ein Kind sehr viel Kraft schöpfen.

-Was bedeutet Glück für Sie persönlich?

Familie, gute Freunde. In Deutschland geboren zu sein – wir haben so vieles hier, was andere nicht haben. Ich hatte zudem Glück, so viel Talent zu haben, um mein Hobby zum Beruf machen zu dürfen.

„Ich muss meineneigenen Weg gehen“

-Stichwort Freunde: Hat sich etwas verändert, nach dem Ende der Karriere?

Wenn sich jemand verabschiedet hätte, wäre er kein echter Freund. Es blieb alles gleich. Wenn ich meine Karriere anschaue, sind schon viele geblieben: Mit Basti Schweinsteiger habe ich in Chicago Kontakt, mit Mario Gomez, Toni Kroos, Andi Ottl – und hier natürlich mit Thomas Müller und Manuel Neuer.

-Ihre Stiftung feiert heuer zehnjähriges Jubiläum. Gibt es besondere Aktionen zum Jubiläum?

Nein, nichts Großes, da auch im Jubiläumsjahr die Aufmerksamkeit auf den laufenden Projekten liegen soll. Wir fokussieren uns im Wesentlichen auf vier Hauptprojekte, wollen da aber umso nachhaltiger wirken. Seit Mai sind wir mit Inhalten des Camps mit der AOK an Schulen gegangen, die ersten sechs Stopps sind sehr gut gelaufen. In unserem Projekt in Philippi bei Kapstadt entsteht jetzt endlich ein Sportplatz für Fußball und Netball. Mir ist wichtig, dass wir sinnvolle Beiträge leisten und durch kontinuierliche Arbeit tatsächlich etwas bei den Kindern bewirken. Ich bin unheimlich glücklich, was wir aufgebaut haben. Allein das Sommercamp: Das gibt es seit acht Jahren, gerade ging das 24. zu Ende. Ich habe die Stiftung mit dem Wunsch gegründet, sie mein Leben lang zu unterhalten – aber die Inhalte, an denen wir permanent feilen, hätte ich mir vor zehn Jahren kaum erträumen können.

-Sie schauen auch bei jedem Sommercamp persönlich vorbei. Letztes Jahr kamen Sie mit wenig Schlaf direkt von der USA-Reise an. Was ist für den Stiftungsbetreiber Lahm heute einfacher, wo er nicht mehr an die Bayern-Zeitpläne gebunden ist?

Ich habe vor allem mehr Ruhe und Zeit. Jetzt kann ich alles mehr genießen. Und das tue ich, freue mich zum Beispiel über jede zusätzliche Frage der Kinder hier im Camp.

-Was ist heuer die meistgestellte Frage?

Eindeutig, warum ich aufgehört habe. Aber auch oft, wie es meiner Frau nach der Geburt und meiner Tochter geht, was ich sehr nett finde.

-Verstehen die Kinder es, wenn Sie ihnen Ihre Gründe für Ihren Rücktritt erklären?

Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Die Kinder, die selber Fußballspielen, können es nicht verstehen. Wie auch? Die wollen immer kicken, haben Spaß dabei, träumen selbst von einer großen Karriere. Da ist es verständlich, dass sie nicht nachvollziehen können, warum man so etwas freiwillig aufgibt. Und wenn man ehrlich ist: Auch für viele Erwachsene ist es schwer, den richtigen Moment zum Loslassen zu erkennen – für sich selbst, aber auch bei anderen.

-Gibt es eine Anekdote aus acht Jahren Sommercamp, die Ihnen besonders im Gedächtnis blieb?

Wir arbeiten seit Jahren mit der José-Carreras-Leukämie-Stiftung zusammen. Da gab es mal einen Jungen, der ausnahmsweise zwei Jahre in Folge dabei war. Im ersten saß er im Rollstuhl, im zweiten lief er herum und erklärte den anderen mit Feuereifer, was hier so los ist. Es war unglaublich, seine Entwicklung zu sehen, dieses Selbstvertrauen, das er gewonnen hatte. Da kriegt man Gänsehaut. Außerdem bekomme ich viele Briefe, die oft ziemlich bewegend sind.

-Was für Briefe?

Die Kinder schreiben mir selbst, oder ihre Eltern bedanken sich, sie hätten ein anderes Kind nach Hause bekommen, im positiven Sinn: selbstbewusster, offener, neugieriger. Ich lese das alles, ich will ja wissen, wie das Feedback ist. Wenn ich hier bin, frage ich die Kinder auch, wie sie es finden, ob ihnen etwas nicht gefällt. Einer sagte letzte Woche: „Wir müssen hier immer um sieben aufstehen!“ (lacht)

-Wenn Sie alle Briefe lesen und die Kinder befragen – kommt da schon der angehende Jungunternehmer durch, der wissen will, wie seine Betriebe laufen?

In dem Fall sehe ich mich nicht als Unternehmer. Wir haben in der Stiftung und den Projekten ein Team an Leuten, denen ich voll vertraue. Aber es ist mein Camp, natürlich, ich habe die Inhalte mitbestimmt und stehe dafür mit meinem Namen. Und damit bin ich ja auch verpflichtet, zu sehen, wie es sich entwickelt.

-Vor dem Karriereende sagten Sie, Sie müssten sich erst an die neue Freiheit gewöhnen, ehe Sie sie genießen können. Sind Sie schon im Genussmodus?

Ja. Anfangs war es wie Urlaub. Inzwischen bin ich gut reingekommen. Wir waren im Urlaub in Südtirol und am Tegernsee, und da war es sogar schon so, dass ich nicht um Punkt sieben zum Buffet gelaufen bin, weil ich so fixe Zeiten noch aus der Mannschaftsorganisation im Kopf hatte. Und vom Fußball geträumt habe ich auch nur einmal bisher. Ich weiß schon gar nicht mehr, was. Also, ich bin gut in der Welt „draußen“ angekommen (lacht).

Interview: Andreas Werner


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