20110826 merkur interview: Man ist ja ein Mensch,

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Philipp Lahm spricht im Merkur-Interview exklusiv über sein Buch.  © Klaus Haag

Aktualisiert: 26.08.11 21:13

Lahm im Exklusiv-Interview: "Man ist ja ein Mensch, der denkt" 

München - Philipp Lahm will sein Buch nicht als Abrechnung verstanden wissen. Der Münchner Merkur hat mit dem Bayern-Star über Motivation, Lieblingspassagen und die für ihn überraschenden Reaktionen gesprochen.

Herr Lahm, als Fußballer waren Sie bisher Liebling der Nation – fühlen Sie sich nun, als Buchautor, plötzlich als Buhmann?

Nein, gar nicht. Weil ich nur geschildert und analysiert habe, was in meiner Karriere bis jetzt passiert ist. Ich bin sachlich und schlage dabei nicht über die Stränge. Wer das Buch zur Hand nimmt, merkt sofort, dass es keine Abrechnung ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder, der das Buch liest, vom Zehn- bis zum 90-Jährigen, Spaß an der Lektüre haben wird. Ich freue mich, wenn es am Montag erscheint, weil die Leute dann über die tatsächlichen Inhalte sprechen werden.

Manche nannten das Werk ein „Enthüllungsbuch“, ein „Skandalbuch“ – dieses Etikett überlebt eine Lektüre keineswegs.

Nullkommanull. Ich attackiere keinen. Ich analysiere, ich vergleiche meine bisherigen Trainer: Was war bei dem einen besser, was beim anderen? Dabei schildere ich, wie es in meiner Karriere bisher lief. Ich schreibe auch, dass ich immer reflektiere und mich frage: Wo will ich selber hin, mit meiner Karriere, meinem Leben? Dieses Buch war für mich dabei eine wichtige Stütze, weil ich so noch einmal viel Revue passieren lassen konnte. Und deshalb denke ich auch, dass es Außenstehende, die den Fußball mit Interesse verfolgen, berührt.

Waren Sie denn überrascht vom Aufschrei?

Klares Ja. Weil es überhaupt nicht meine Absicht gewesen ist, Krach zu schlagen. Die Auszüge, die in den Vorabdrucken rausgezogen wurden, sind verkürzt dargestellt worden. Man muss da schon wie ein Goldsucher an die Lektüre herangehen, um diese Passagen herauszufiltern. Ich wollte niemanden verurteilen, und wer das Buch liest, erfährt auch, wie die Feststellung einzuordnen ist, dass unter Rudi Völler bei der Nationalmannschaft beispielsweise oft mal nur eine Stunde trainiert wurde – das war damals einfach eine andere Zeit.

Dennoch fühlen sich Ihre früheren Trainer Rudi Völler, Felix Magath, Louis van Gaal und Jürgen Klinsmann attackiert.

Man muss schon alles lesen und nicht nur Auszügen vertrauen. Ich schreibe zum Beispiel in dem gleichen Kapitel über Völler, dass mir nicht bekannt sei, dass in der damaligen Phase irgendeine andere Nation anders trainiert hätte. Und über Jürgen Klinsmann schreibe ich auch längst nicht nur Negatives, sondern auch, dass er erst zeitgemäße Professionalität in die Nationalelf hineingebracht hat. Über Louis van Gaal stehen mehrere Absätze in dem Buch, was er beim FC Bayern alles Positives bewirkt hat. Bisher wurden nur alle negativen Aspekte des Buches herausgestellt.

Würden Sie irgendetwas anders machen?

Nein. Nullkommanull. Weil das Buch harmlos ist. Es ist einfach eine Analyse meiner bisherigen Karriere. Was passiert ist, und wie sich die Zeiten in der Branche ändern.

Was entgegnen Sie Leuten, die Ihnen Profilneurose oder Geldgier vorwerfen – die Frage nach Ihrer Motivation, so ein Buch zu schreiben, bewegt die Gemüter ja gewaltig . . .

Ich kann mit diesen Vorwürfen nichts anfangen. Sowas kann ich auch nicht beeinflussen. Zum Geld: die meisten Leute wissen ja, dass ich eine Stiftung habe. Geld aus dem Buchverkauf wird sicher auch in diese Richtung fließen. Mein wahres Motiv ist, dass ich den Menschen einfach den Fußball näherbringen wollte. Das ist meine Intention. Die Leute fragen sich doch: Was passiert eigentlich bei so einem Profifußballer? Die sehen, der trainiert, der spielt seine Spiele – aber das ist ja noch längst nicht alles. Mich hätte so ein Buch als Kind sehr interessiert. Nur gab es sowas zu meiner Zeit nicht. Deshalb haben wir es ja auch geschrieben: Weil es sowas noch gar nie gegeben hat.

Was sind denn Ihre eigenen, ganz persönlichen Lieblingspassagen?

Ach, da gibt es so viele nette Geschichten. Dass ich schon Balljunge bei Bayern war, als ich noch gar nicht im Verein gewesen bin. Als mich Felix Magath zu den Profis beim VfB Stuttgart geholt hat und ich am Telefon gar nicht wusste, was ich sagen sollte. Es sind so viele Erinnerungen wieder lebendig geworden.

Sie schreiben zum Beispiel, bei der U11, in sehr jungen Jahren also, „wittere ich Fußball, ahne Niveau“. Wie war das so?

Ich kam vom FT Gern. Kreisliga. Natürlich habe ich beim FC Bayern dann erste Unterschiede gespürt. Davor hieß es ja immer: „Geht einfach mal auf den Ball und spielt!“ Bei Bayern gab es Trainer, die wirklich Anweisungen erteilt haben, wie und warum wir das und das machen sollten.

Sie erzählen auch anschaulich, wie Ihre Freunde in der Pubertät zum Baden gingen, die Mädels wichtiger wurden. Haben Sie das nie als Opfer empfunden, Fußball den Freuden der Jugend vorzuziehen?

Nein, nie. Weil der Spaß immer dabei war. Hätte mir Freibad oder abends weggehen mehr Spaß gemacht, wäre alles anders gelaufen. Aber ich hatte immer ein Ziel vor Augen. Ich wollte jedes Wochenende spielen, wollte gewinnen, wollte Meister werden. Ich hatte immer Ziele – und die waren im Fußball. Ich habe mich immer gefreut, auf jedes Spiel elf gegen elf. Ich liebe das Spiel bis heute.

Nett ist auch die Anekdote, als der Boulevard die Nationalelf mal nach einer Blamage als „Würstchen von Bukarest“ darstellte.

Ja, heute schmunzle ich darüber. Aber man muss lernen, mit der öffentlichen Kritik zu leben. Es war damals schon ein komisches Gefühl, man ist ja ein Mensch, der denkt, dann fragst du dich einfach: Wen schauen jetzt die Leute auf der Straße an – den Philipp oder die Wurst? Das sind Mechanismen, an die man sich erst mal gewöhnen muss.

Sie gehen auch offen mit dem Thema Tränen um. Als Sie sich vor der WM 2006 verletzten, „heulte ich los“, ist zu lesen.

Das Buch soll ehrlich sein, und das ist es auch. Ich stehe dazu, dass ich hin und wieder geweint habe. Diese Situation damals war sehr bitter: Ich wache nach meiner OP auf, mein Arm tut weh, ich sehe die WM, dieses Ziel, auf das ich ein Jahr hingearbeitet habe, davonziehen. Ich wusste, es ist nicht so dramatisch, dass meine Karriere zuende ist. Aber diese Angst, die WM zu verpassen, war riesig.

Heute sind Sie Kapitän der Bayern und der Nationalelf. Eine Liste führte Sie neulich als mächtigsten Fußballer des Landes. Bedeutet Ihnen das etwas?

Nein, und ich weiß auch nicht, ob es wirklich so ist. Ich sage gern meine Meinung, und natürlich ist das Kapitäns-Amt bei Bayern und der Nationalelf eine Ehre. Macht ist für mich aber auch immer ein bisschen negativ behaftet. Für mich ist es einfach wichtig, gehört zu werden, wenn ich etwas zu sagen habe.

Im Buch schreiben Sie, Sie hätten das Gefühl, Kanzlerin Angela Merkel sähe die Nationalspieler als „Schicksalsgefährten“. Wie meinen Sie das?

Als ich mal ein Interview über Müdigkeit gegeben habe, sagte sie zu mir: „Ich kenne das, ich weiß, was Sie meinen.“ Sie wird ja auch viel kritisiert in ihrem Beruf, hat aber dennoch diese Freude an dem, was sie macht. Das merkt man ihren Erzählungen an, und wenn die Kanzlerin, so eine Persönlichkeit, auch mal einen Scherz mit uns macht, hat das etwas Verbindendes.

Den Fußball entromantisieren Sie teilweise. Sie bezeichnen Ihre Zunft als „Gladiatoren“, der nette Gedanke, dass da elf Freunde ihrem Beruf nachgehen, sei eine Illusion.

Zwischenmenschlich muss es in einem Team natürlich stimmen. Aber jeder ist ehrgeizig. Elf Freunde? Mal ehrlich: Wer hat denn überhaupt elf Freunde? Ich meine, so richtige. Ich nicht. Und dass in einer Mannschaft, in der Konkurrenz herrscht, nicht alle Freunde sein können, liegt doch in der Natur der Sache.

„Softies haben im Fußball keinen Erfolg“, schreiben Sie. Knallhart.

Man muss viel aushalten. Das sieht man ja jetzt (grinst).

Sie gehen auch noch auf ein anderes, nennen wir es „heikles Thema“ ein: Auf das Gerücht, dass Sie homosexuell seien – stört Sie dieses Gerede eigentlich?

Nein. Für mich ist das kein Problem. Ich weiß ja, dass es nicht stimmt. Und ich weiß genauso, dass ich Leute, die denken, ich sei schwul, nicht mit ein paar Zeilen in dem Buch oder mit dem Verweis auf meine Hochzeit und meine Frau umstimmen kann. Das ist einfach so.

Kapitel 14 birgt Brisanz: Das Thema „fehlende Philosophie“ könnte man als Kritik an Ihrem Arbeitgeber FC Bayern sehen.

Nein, weil wir inzwischen auf dem Weg sind, dass wir Spieler punktuell für unsere Philosophie holen. Man kauft jetzt nicht mehr einfach ein, sondern nach dem System, das unser Trainer übernommen hat. Nur spielen beispielsweise Manchester United und der FC Barcelona ihre Systeme schon seit vielen Jahren – und wir erst seit zwei. Das dauert noch.

Die Inhalte, heißt es vom FC Bayern, seien im Vorfeld ohnehin abgesprochen worden. Präsident Uli Hoeneß nennen Sie in dem Buch Ihr Vorbild, Sie würden sich in bestimmten Situationen immer fragen, ob er genauso handeln würde, wenn er in Ihren Schuhen stecken würde. Was sagt er denn eigentlich zu Ihrem Buch?

(lächelt) Ihm hat es gefallen.

Interview: Andreas Werner


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