20070420 neon interview: Solo für Lahm

https://www.neon.de/artikel/freie-zeit/sport/solo-fuer-lahm/684307

Solo für Lahm

Seit der WM ist PHILLIP LAHM auch im Ausland ein Topstar. Trotzdem erzählt er am liebsten von seinen Hasen und spielt Karten. NEON hat mitgespielt.

Es gibt beim FC Bayern München keinen bayerischeren Spieler als Philipp Lahm. Und es gibt in Bayern nichts Bayerischeres als das Kartenspiel Schafkopf. Das Spiel ist eng verwandt mit Skat und Doppelkopf, aber doch so anders, dass man zum Beispiel nur beim Schafkopf »auf die Hundsg’fickte« spielen kann. Philipp Lahm liebt dieses Spiel. Man kann sich mit ihm am besten beim Zocken unterhalten – über Schafkopf, seine Eltern und seinen Ruf, niemals schlecht Fußball zu spielen.
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Du spielst jeden Montag Karten. Mit wem? 
Mit Andreas Ottl aus meiner Mannschaft, dem Physiotherapeuten der A-Jugend und dem Kotrainer der B-Jugend. Aber beim FC Bayern kriegen wir auch sonst immer leicht eine Runde zusammen – zum Beispiel mit Hasan Salihamidzic, Mehmet Scholl und Willy Sagnol.

Das sind alles Berufskollegen. Hat dich deine Bekanntheit als Profifußballer deine alten Freunde gekostet? 
Nein, ich bin immer noch sehr gut mit einem Mitschüler aus der Realschule befreundet. Einen anderen guten Kumpel kenne ich, seit ich sechs Jahre alt bin. Mit dem hab ich in meinem Stadtteil Gern angefangen, Fußball zu spielen. Dann ist da noch der Sohn der besten Schulfreundin meiner Mutter, der spielt jetzt auch bei der FT Gern. Der Rest sind die Fußballfreunde.

Fragen Bekannte, die keine Fußballer sind, dich nicht ständig aus? Was der Kahn am Wochenende wieder in der Kabine gebrüllt hat? 
Das ist früher in der Schule öfter passiert. Da wollten auch einige wissen, was ich eigentlich verdiene. Heute kommt das selten vor. Ich habe kaum Kontakt zu Leuten, die sich nur für mich interessieren, weil ich Profifußballer bin.

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Philipp Lahm antwortet routiniert und freundlich. Was auffällt: Sein Blick fällt immer wieder auf den Kartenstapel vor ihm. Er will spielen. Er sieht aus wie ein Hungriger vor einem Filetsteak.
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Ihr spielt bei euren Schafkopfrunden um Geld. Wie schneidest du ab? 
Bei uns zahlen immer die Verlierer – aber in diesem Jahr musste ich noch keinen einzigen Euro in die Kasse geben. Am Ende des Jahres fahren wir vom Gesamtbetrag zusammen in Urlaub.

Also spielt ihr um hohe Einsätze. 
Wer einen wirklich schlechten Abend hat, zahlt vielleicht 40 Euro. Es ist nicht so, dass wir von der Kasse für zwei Wochen auf die Malediven fliegen könnten. In diesem Winter waren wir vier Tage zum Skifahren in Ischgl.

Was lernt man vom Schafkopfen fürs Leben? 
Mit guten Karten gewinnen – das kann jeder. Die Kunst ist, trotz schlechter Karten nur wenig Geld zu verlieren. Man muss auf den richtigen Moment und auf das richtige Blatt warten können. Und es kommt ganz sicher. Vielleicht aber erst am nächsten Abend. Man lernt, geduldig zu sein.

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Die Karten sind gemischt für die erste Runde. Lahm studiert kurz sein Blatt, sagt: »Ich hab was G’scheits« und kündigt an, dass er ein »Solo« spielt: allein gegen zwei. In aller Kürze: Jeder legt pro Runde eine Karte auf den Tisch; je nach Spielvariante gibt es bestimmte Trumpfkarten, mit denen man andere Karten für sich gewinnt; am Ende ist Sieger, wer mehr als die Hälfte aller möglichen 120 Punkte gesammelt hat. Lahm spielt zügig, kommentiert aber fast jede Spielrunde: »Damit habt ihr 21 und seid noch Schneider«, sagt er zwischendurch triumphierend – »Schneider sein« wäre eine Blamage. Aber ganz so schlimm kommt es nicht, Lahm beendet das Spiel mit dem Hinweis: »Ihr habt 46 Augen und damit verloren!« Was exakt stimmt. Eine Gemeinsamkeit von Philipp Lahm am Kartentisch und auf dem Fußballplatz: absolute Gelassenheit. Seine Strategien, zumindest die beim Schafkopfen, sind schnörkellos und vorhersehbar, aber gleichzeitig effektiv und fehlerfrei. Ein Unterschied: Beim Zocken wirkt er älter. Wahrscheinlich, weil er in Wirklichkeit etwas größer ist, als er im Fernsehen aussieht – typisches Fußballerphänomen. Aber es sind auch seine Bewegungen, die Art, wie er die Karten in der flachen Hand auf die Tischplatte schlägt. Das hat etwas Altherrenhaftes. Übrigens musste er diese Runde unbedingt gewinnen, wenn er sich nicht blamieren wollte: Sein Blatt war unschlagbar.
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Jürgen Klinsmann sagt von sich, er habe aus wenig Talent viel gemacht – du hattest es dank deiner Begabung viel leichter. 
Ja, ich glaube schon, dass ich Talent mitbekommen habe. Aber um sich im Profifußball wirklich durchzusetzen, braucht es auch viel harte Arbeit. Man muss früh auf vieles verzichten. Man braucht Disziplin.

Du warst zwei Mal Deutscher Meister mit der A-Jugend des FC Bayern. Viele deiner damaligen Mitspieler haben die große Karriere nicht geschafft, manche nicht einmal eine kleine. Was hat den anderen gefehlt? 
Gerade beim FC Bayern ist es schwer, sich durchzusetzen. Da sind in jedem Jahrgang 17, 18 gute Spieler – und am Ende der Saison müssen diejenigen gehen, die nicht mehr gut genug scheinen. Wir standen schon in der Jugend unter großem Druck. Ständig muss man sich behaupten – und das in einer Phase, in der man abends auch gern mal ausgehen würde. Pausenlos muss man das Ziel vor Augen haben, Profi werden zu wollen. Manche hatten diese Ausdauer vielleicht nicht.

Andere waren zu bequem? 
Das lag dann vor allem an den Eltern. Manche jubeln ihre Kinder sehr hoch – und die bleiben dann auf der Strecke. Bei mir war das nie so. Meine Eltern haben mir immer gesagt, wenn ich nicht so gut gespielt habe.

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Das ist anscheinend neben Schafkopf sein Lieblingsthema: die Eltern. Schon strahlt er, als würde er sie in diesem Augenblick nach langer Zeit wiedersehen. Sie sind die wichtigsten Menschen in seinem Leben – neben seiner älteren Schwester Melanie und seiner Freundin. Aber ein Fußballprofi, der ernst genommen werden will: Was redet der von seinen Eltern?
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Was erledigen deine Eltern heute noch für dich? 
Die kümmern sich um meine zwei Hasen, wenn ich nicht zu Hause bin.

Du hast ohnehin das Image eines niedlichen Teenagers – und dann erzählst du in Interviews noch von deinen Hasen, die »Milky Way« und »Brownie « heißen? Keine Angst, dass andere Menschen dich für ein Weichei halten? 
Nein. So bin ich einfach. Das heißt nicht, dass ich meine Klappe nie aufmache. Ich sage vor dem Trainer oder der Mannschaft schon, was mich stört. Aber ich bin keiner wie Stefan Effenberg, der oft völlig aus sich rausging.

Wer hat dir beigebracht, was du in Interviews sagen darfst und was nicht? 
Niemand.

Es gibt doch besondere Interviewschulungen für Fußballer. 
Die habe ich nie gebraucht. Mir reichen die Leute um mich herum, die mir ab und zu raten, was ich besser machen könnte. Wenn ich das auch so sehe, versuche ich, es in den Griff zu bekommen.

Zum Beispiel? 
Am Anfang meiner Karriere, als ich noch keine Routine hatte, wurde mir mal gesagt, dass ich immer nur in zu knappen Sätzen antworte. Und dass es schöner sei, wenn ich auch mal was von mir erzähle. Also erzähle ich heute ein bisschen mehr.

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Philipp Lahm tut nicht nur so, als könne er mit einem PR-Berater nichts anfangen – er ist wirklich so. Bodenständig. Und vor allem: herzlich. Das zeigt sich in einer Szene in Lahms Auto (Audi, Kennzeichen M-DM wie »Deutscher Meister«) auf dem Weg zum Fototermin: Vor der Gaststätte ist alles zugeparkt, also schlägt der Fotograf vor, das Auto auf den Gehweg zu stellen. Lahm folgt widerwillig, prüft aber gleich, ob noch genug Platz bleibt für einen Kinderwagen. Einen solchen Fußballprofi hat man nicht mehr für möglich gehalten, seit Oliver Kahn im Ferrari durch München fährt. In der zweiten Schafkopfrunde spielt Lahm sozusagen in der Opposition. Der Alleinspieler muss eigentlich gewinnen, doch es passieren zu viele Fehler. Am Ende gewinnen Lahm und sein Mitspieler knapp. Lahm analysiert: Das sei das Schlimmste, was beim Kartenspielen passieren könne – mit einem guten Blatt zu verlieren. Wahrscheinlich verbietet ihm nur seine Höflichkeit ein hämisches Lachen.
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Bei der WM im vergangenen Jahr, erst recht nach deinem Tor im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica, wurden plötzlich auch deine Eltern von vielen Medien interviewt. Was war in dieser Zeit in deiner Familie los? 
Die hatten den größten Stress! Weil sie zu jedem Spiel geflogen sind und dann aber am nächsten Tag zur Arbeit mussten. Auch mit Journalisten war einiges los. Meine Familie steht ja ganz normal im Telefonbuch. Manche Leute haben auch angerufen und behauptet: »Ich war mit dem Philipp in einer Klasse, können Sie mir bitte seine Nummer geben?« Damit mussten meine Eltern erst mal umgehen. Die sind ja auch höflich und gut erzogen – mussten dann aber auch mal Nein sagen.

Warum haben sie sich nicht einfach eine Geheimnummer geben lassen? 
Meine Mutter ist Jugendleiterin in meinem alten Verein in Gern, sie muss erreichbar sein.

Nach der Weltmeisterschaft hatte man vor allem bei den jungen Spielern wie dir, Lukas Podolski oder Bastian Schweinsteiger das Gefühl, dass es auf einmal nicht mehr so gut läuft.
Nach einem solchen Turnier kommen Spieler immer schwer in Gang. Man fokussiert sich auf die WM, es wird drei, vier Wochen trainiert, dann hat man kurz Urlaub, und es geht schon wieder weiter mit der nächsten Saison. Das ist alles nicht so leicht, wie man sich das von außen vorstellt. Schon das Aufstehen morgens fällt schwerer als sonst.

Und dann liest du in der Zeitung, du hättest schlecht gespielt, die Fachzeitschrift »Kicker« gibt dir ein paarmal schlechte Noten … 
Leute, die ein Fußballspiel beobachten, wissen oft gar nicht, was der Trainer verlangt hat. Die Zuschauer fragen sich, warum ein Spieler besonders defensiv oder offensiv spielt, man bekommt schlechte Bewertungen – dabei habe ich oft nur die Vorgaben des Trainers befolgt. Als Spieler weiß ich selbst am besten, wie das Spiel lief.

Dein Jugendtrainer Hermann Gerland hat mal gesagt: Philipp Lahm kann gar nicht schlecht spielen. 
Ja, schön, dass er das sagt. Aber ich weiß, dass ich auch weniger gute Spiele habe. Andererseits: Es gab noch nie ein so grottenschlechtes Spiel von mir, dass jeder gesagt hat: Der Lahm ist ja heute vogelwild.

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Noch eine dritte, letzte Runde im Schafkopf. Wieder spielt Lahm ein Solo, wieder gewinnt er. Drei Spiele, drei Siege. Sein Gesicht verrät, dass er jetzt gerne etwas Kumpelhaftes und Angeberisches sagen würde: Na, ihr Loser? War wohl nix? Aber er grinst bloß kurz, dann schüttelt er jedem die Hand, steigt in seinen Wagen und rollt vom Gehweg. Ganz vorsichtig.


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