20151119 tz interview: Der Terror steht mit dem Fu

Ehemaliger DFB-Kapitän im Interview

Lahm: "Der Terror steht mit dem Fußball in Verbindung" 

Aktualisiert: 19.11.15 12:33

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Der Terror in Paris beschäftigt auch Philipp Lahm.

© Sampics

München - Als der Terror über Paris herein brach, befand sich Philipp Lahm gerade in London. Im Interview spricht der ehemalige DFB-Kapitän über die schrecklichen Taten in der Stadt der Liebe und seine Ängste.

Herr Lahm, wie haben Sie am Freitag das Länderspiel verfolgt? 

Ich habe es nicht gesehen, weil ich mit meiner Frau in London war, habe aber dann natürlich sofort erfahren, was passiert ist. So wie jeder andere war ich extrem erschüttert – und hatte dann auch gewisse Ängste. Vor allem, wenn man sich selbst in einer anderen Großstadt aufhält, ist es denke ich normal, dass einen diese Gefühle überkommen.

Sie haben sich also in London ängstlich bewegt?

Selbstverständlich, klar. Es war ja nicht sofort klar, was passiert ist und welchen Hintergrund es hatte. Heutzutage sind Terroranschläge leider überall auf der Welt eine reale Gefahr. Das ist schlimm. Es hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren entwickelt und jetzt auch Europa erreicht. Dadurch wird man noch ängstlicher als vorher. Aber man darf sein Leben trotzdem nicht der Angst widmen. Das ist in solchen Momenten, mit den aktuellen Bildern im Kopf, natürlich sehr schwer.

Wie war Ihre erste Reaktion? Haben Sie Kontakt zu Ihren Kollegen im Stadion aufgenommen? 

Ja. Als ich nach dem Spiel von den Ereignissen erfahren habe, habe ich Kontakt aufgenommen und kurz mit Thomas (Müller, d.Red.) telefoniert.

Die Attentate waren schon für Außenstehende ein großer Schock. War es für Sie besonders schlimm – als jemand, der vor Kurzem noch im Kreise der Nationalmannschaft war? 

Nein. Ich konnte mich auch nicht anders reinfühlen als Außenstehende. Ich habe so etwas – zum Glück – noch nie erlebt und ich hoffe, ich muss es auch nie erleben. Ich bin froh, dass der Mannschaft nichts passiert ist, dass der Terror nicht bis ins Stadion vorgedrungen ist. Es ist schlimm genug, was davor passiert ist – aber es hätte im Stadion noch mehr passieren können.

Hat sich für Sie seit Freitag etwas verändert? 

Nicht wirklich. Weil es Terroranschläge ja nicht erst seit Freitag gibt. Aber man muss auch sagen: Leider gehören sie nun immer mehr zu unserem Leben dazu. Die Gefahr von Anschlägen besteht auch in Europa, dessen sollten wir uns bewusst sein. Man beschäftigt sich schon seit Längerem mit diesem Thema. Es betrifft Großveranstaltungen, ich bin Leistungssportler, ich spiele in großen Stadien – das gehört in meinem Job dazu. Aber im Privatleben mache ich mir schon Gedanken. Ich reflektiere, auf welche Veranstaltungen ich gehe. Nicht erst seit Freitag, sondern schon länger.

Jerome Boateng hat gesagt, dieses „mulmige Gefühl“ würde noch länger bleiben. Spüren Sie das auch, wenn Sie beispielsweise am Samstag auf Schalke einlaufen? 

Ich glaube nicht. Weil es im Leben einiges gibt, das man nicht kontrollieren kann. Ich vertraue der Politik und den Behörden, die entscheiden, ob etwas stattfindet oder nicht, die im Rahmen der Möglichkeiten die akute Gefährdung einschätzen können. Am Wochenende werde ich kein anderes Gefühl haben als sonst, wenn ich in ein Stadion eingelaufen bin.

Kann man sich als Sportler – zumindest im Beruf – keine Angst leisten? 

Ich laufe nicht im Stadion auf und habe Angst, dass etwas passiert. Aber ich denke komplett frei von Angst ist niemand. Mal als Beispiele: Man hat auch Angst, dass jemand schwer krank wird in der Familie, dass man selbst schwer krank wird, dass es einen Unfall gibt. Mit diesen Ängsten lebt man auch. Jeder. Auch ich. Und jetzt ist eine neue Angst mit dazu gekommen seit einigen Jahren. Damit müssen wir umgehen.

Der Hype um Sie und den FC Bayern wird immer größer. Beispielsweise in China herrschte nahezu Hysterie, als die Mannschaft landete, es waren unglaubliche Menschenmassen vor Ort. Gibt es da Momente, in denen man sich nicht sicher fühlt?

Das sind natürlich Extremsituationen, aber wir haben unsere Leute ja immer dabei. Man kann sich nicht vor allem schützen, das wissen wir. Aber wenn ich so denken würde, dürfte ich im Leben ja eigentlich gar nichts mehr machen. Nicht mehr aus dem Haus gehen, nicht mehr auf die Straße. Es gibt immer ein paar Leute, die nicht unbedingt etwas Positives im Kopf haben. Vor denen kann man sich nicht schützen. Aber an die darf man trotzdem nicht zu viel denken, sie nicht das eigene Leben regieren lassen. Weil dann die Angst das Leben bestimmt – und das ist nicht gut.

Lahm nach Terror in Paris: "Jeder Spieler muss für sich wissen, wie er damit zurecht kommt" 

Sie sprechen sehr reflektiert – aber siegen nicht auch bei Ihnen manchmal die Gefühle über die Rationalität? 

Natürlich. Gerade am Wochenende, in einer anderen Großstadt – da macht man sich Gedanken. Da schaut man, wo man sich bewegt. Ich gehe nicht durchs Leben und sage: Mir wird schon nichts passieren. Ich lebe mit Ängsten. Die Angst vor Terror gehört dazu. In manchen Situationen oder eben nach konkreten Vorfällen ist man ängstlicher als normal. Bei vielen ist das im Moment der Fall. Das ist verständlich und menschlich.

Wäre Spielern geholfen, wenn man im Verein oder im Verband Personen installiert, die einen psychologisch auf derartige Situationen vorbereiten?

Auf so etwas kann man sich – glaube ich – nicht vorbereiten. In der Nationalmannschaft ist Hans-Peter Herrmann immer dabei, der sicher auch jetzt geholfen hat. Sportpsychologen gibt es ja schon lange. Im Endeffekt muss dann aber jeder Spieler für sich wissen, wie er damit zurecht kommt und wie er es verarbeitet.

Kann man als weltoffener Spieler seinen Kollegen helfen? 

Ich habe einige Kollegen schon gesehen, die von der Nationalmannschaft zurück sind. Natürlich spricht man über die schrecklichen Ereignisse. Aber was soll ich ihnen sagen? Ich war nicht in dieser Situation, und ich möchte sie auch nicht erleben, nur um ihnen dann etwas sagen zu können. Ich bin da der falsche Ansprechpartner.

Forderungen, die EM 2016 nicht in Frankreich stattfinden zu lassen, hat die UEFA abgelehnt. Ist das die richtige Entscheidung?

Auch das kann ich schwer beurteilen. Weil es eben Leute gibt, die sich damit beschäftigen. Die Politik kann entscheiden, ob die Gefahr nun größer ist als vor dem Freitag. Wie groß das Risiko ist. Wie sicher es ist, welche Maßnahmen es gibt. Da bin ich auch nur Außenstehender.

Aber es fällt schon schwer, sich ein Fußballfest vorzustellen, oder? 

Gerade schon. Es ist ja auch erst vor ein paar Tagen passiert. Der Terror steht im Moment mit dem Fußball in Verbindung.

Unter anderem Ilkay Gündogan war dagegen, das Länderspiel gegen Holland unter diesen Umständen auszutragen. Haben Sie dafür Verständnis? 

Es ist die eigene Entscheidung, die jeder Spieler für sich treffen kann. Jeder Spieler geht anders mit dieser Situation um. Manche brauchen länger, um die Ereignisse zu verarbeiten als andere. Und das ist auch vollkommen in Ordnung so. Als Spieler kann ich immer sagen, dass ich nicht spielen kann. Ich habe eine Eigenverantwortung. Und ich kann immer nein sagen. Auch wenn es um Fußball geht. Und jeder auf dieser Welt – denn ich denke, jeder hat mitbekommen, was passiert ist – könnte so eine Entscheidung nachvollziehen.

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