20120119 faz interview

„Fußballerisch bin ich wenig angreifbar"

Für die Münchner Bayern begann am Freitag die Bundesliga-Rückrunde in Mönchengladbach. Philipp Lahm spricht im F.A.Z.-Interview zuvor über sein Buch, die Freude auf den Start und seine Zukunft.

19.01.2012

© DPA, Auch Philipp Lahm lässt manchmal „die Sau“ raus - aber nicht in der Öffentlichkeit

Viel zu schönes Wetter für ein Interview, oder?

Stimmt, wäre ein idealer Tag zum Skifahren.

Darf man das als Bayern-Profi? Trotz Verletzungsgefahr?

Aber ja. Die Zeiten, als man ein Ski-Verbot im Vertrag durchsetzen konnte, sind vorbei.

Statt der Piste wartet der Rasen. Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn an diesem Freitag die Bundesliga losgeht?

Auf die Konzentration, die Anspannung. Schon wenn man im Flieger mit der Mannschaft hinreist, spürt man, wie die Konzentration bei allen steigt. Oder dann am Morgen vor dem Spiel, wenn man aufsteht und weiß: Heute Abend geht’s wieder richtig los.

Und das können Sie genießen?

Nach über drei Wochen Pause, na klar. Ich kann es kaum erwarten.

Kann man sich denn als Spieler des FC Bayern noch richtig freuen? Man hat doch alles schon mal gewonnen.

Das geht sehr gut. Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass wir in Gladbach gewinnen - dann weiß ich schon jetzt, wie gut sich das anfühlen würde bei der Busfahrt zurück ins Hotel. Das ist ein Gefühl, wie es nur ganz wenige Menschen kennen. Nur Leistungssportler können das Woche für Woche auskosten.

© DAPD, Nach drei Wochen Pause und Trainingslager in Dubai kann Lahm den Rückrundenstart kaum erwarten

Was fehlt den Bayern im Vergleich mit Barcelona?

Wir haben uns spielerisch-taktisch weiterentwickelt in dieser Saison. Man muss Barcelona noch immer als das Maß aller Dinge sehen. Aber ich denke, dass wir ihnen inzwischen auf Augenhöhe gegenübertreten.

Weil man sich vom engen Muster der van Gaalschen Fußballidee gelöst hat?

Wir profitieren immer noch von Louis van Gaal, bei unserem Offensivspiel, beim Positionsspiel. Aber Jupp Heynckes hat die Balance zwischen Defensive und Offensive dazu gebracht und das geordnete Umschalten in die Defensive. Außerdem suchen wir nun in unserem Spielaufbau den Moment für die Beschleunigung Richtung Torabschluss. Vorher haben wir das immer nur über das Passspiel allein versucht.

Sie sind noch glücklich in Ihrer Rolle?

Zu meinem Charakter, zu meinem Spiel passt die Position des Außenverteidigers am besten.

Egal, ob rechts oder links?

Ich bin jetzt wieder zurück nach links gewechselt. Ich habe nicht vor, in meiner Karriere jetzt noch einmal auf der anderen Seite zu spielen.

© DPA, Hohe Ziele: Lahm (rechts) und Schweinsteiger wollen nicht nur mit den Bayern Titel gewinnen in diesem Jahr

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Ich glaube, dass nur Spieler, die jahrelang auf derselben Position spielen, sich dort auf Weltklasseniveau entwickeln können.“ Bastian Schweinsteiger also nicht? Der kam ja erst vor zwei Jahren ins defensive Mittelfeld.

Natürlich hat er das Niveau. Ich habe mit diesem Satz auch für mich gesprochen. Ein Spieler, der immer auf derselben Position spielt, kennt jede Situation, offensiv wie defensiv. Bastian ist die positive Ausnahme von der Regel.

Für eine Ihrer Stärken verwenden Sie den schönen Begriff „scharfes Stellungsspiel“. War der Ballgewinn in der letzten Spielminute des Jahres 2011, der zum Siegtreffer in Bochum führte, ein Beispiel dafür?

Ja, das war das scharfe Stellungsspiel, aber auch das Gefühl für den Zeitpunkt, an dem man ein Risiko eingeht. Ich warte auf den Moment, an dem der Spieler ausholt, nicht mehr auf mich achtet, um loszulaufen und den Pass abzufangen. Das hat mit Erfahrung zu tun, damit, zu wissen, jetzt kann er nichts anderes mehr tun, weil ich beobachtet habe, welchen Mitspieler er vorher ansah. Man muss sehr konzentriert sein, um all das wahrzunehmen und den richtigen Augenblick abzuwarten.

Um also in einer defensiven Situation aktiv zu handeln.

Ja, klar. Es ist aber nicht immer der Job, Bälle zu erobern. Auch mal, einen Angriff nur zu verzögern. Als Außenverteidiger steht man oft vor der Frage: Was biete ich dem Gegner an? Was ist die gefährlichste Option für uns? Die muss ich ihm nehmen und ihm dafür eine andere öffnen.

 

© DAPD, Der FC Bayern profitiert noch von van Gaal, aber Heynckes (rechts) sorgte für die Balance zwischen Defensive und Offensive

Wie sehen Sie Ihre Entwicklung, seit Sie bei der WM 2006 in die Weltklasse vorstießen?

Ich habe mein Level gehalten, über die Jahre hinweg, und bin dabei viel reifer und erfahrener geworden. Als Kapitän beim FC Bayern und im Nationalteam liegt mein Fokus jetzt nicht mehr so auf der eigenen Leistung, sondern auf dem Funktionieren der Mannschaft.

Mittlerweile lösen Sie die größere Wirkung mit dem aus, was Sie sagen, als mit dem, was Sie spielen. 2009 das Interview, in dem Sie beim FC Bayern eine Spielphilosophie einforderten; 2010 der Anspruch auf die Kapitänsrolle im Nationalteam; 2011 Ihr Buch, in dem Sie die Defizite der Arbeit früherer Trainer wie Völler oder Klinsmann aufführten und sich verärgerte Reaktionen einhandelten. Sagen Sie sich nun: 2012 mache ich mal ein ganz ruhiges Jahr?

Ach was, es steht ja so viel an! Aber natürlich nehme ich mir nicht am Anfang eines Jahres vor, Schlagzeilen zu machen. Ich werde halt wegen meiner beiden Kapitänsämter kritischer gesehen. Mein Wort hat öffentlich mehr Gewicht als vor fünf, sechs Jahren. Fußballerisch bin ich wenig angreifbar, weil ich meine Leistung seit Jahren bringe.

© DAPD, „Solch eine Aufregung hatte ich nicht erwartet“: Philipp Lahm und sein Buch

Sie schildern im Buch, wie man vom Ball über seinen Körper und sein Sozialverhalten bis hin zur Presse alle Faktoren kontrollieren muss, um ein guter Fußballprofi zu sein. Aber ausgerechnet die Wirkung des Buches geriet außer Kontrolle.

Solch eine Aufregung habe ich nicht erwartet. Ich habe einfach die Zeiten geschildert, wie es damals war und wie es heute ist. Nichts Dramatisches. Ich habe mich dann entschuldigt, weil ich sicher Rudi Völler nicht negativ darstellen wollte.

Sind Sie jemand, der alles kontrollieren will?

Ich bin mir einfach bewusst, was das auslöst, wenn ich etwas tue. Das muss man erst lernen.

Es gibt aber immer noch Platz für Spaßvögel im Fußball. Spieler wie Ribéry, die sich weniger Gedanken machen als Sie. Würden Sie gern auch mal die Sau rauslassen?

Keine Sorge, ich lasse die Sau manchmal raus. Aber ich will das in einer Umgebung tun, die mir gefällt, einer privaten Umgebung, bei der ich weiß: Es kommt nichts raus. Es steht nichts am nächsten Morgen in der Zeitung.

© DPA, FC Bayern und Borussia Mönchengladbach im direkten Vergleich

Sie hatten einst Angebote aus Barcelona und Madrid. Reizt es Sie, es noch einmal woanders zu probieren?

Für mich gibt es keinen Grund, hier wegzugehen. Wenn mein Vertrag ausläuft, bin ich 32. Dann wird man sehen, wie hoch mein Niveau noch ist.

Zanetti rennt bei Inter Mailand seit 17 Jahren die Seite hoch und runter. Er ist 38.

Das passiert mir nicht. Aber sag niemals nie.


Das Gespräch führte Christian Eichler.

Quelle: F.A.Z.


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