20060530/faz: Philipp Lahm im Porträt Und der Papa

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Unterschiedlicher könnten die beiden Welten von Philipp Lahm nicht sein: Einerseits das alte hölzerne Vereinsheim der FT Gern, andererseits das moderne Trainingszentrum des FC Bayern München. Eine Spurensuche mit dem Nationalspieler in beiden Welten.

30.05.2006, von ELISABETH SCHLAMMERL, MÜNCHEN

© PICTURE-ALLIANCE/ DPA/DPAWEBHeimatverbunden: Philipp Lahm

Wenn Philipp Lahm das Gelände der Freien Turnerschaft Gern betritt, gibt es ein großes Hallo. Der Platzwart kommt um die Ecke, um sich nach dem Befinden des berühmtesten Klubmitglieds zu erkundigen. Die Wirtin der Vereinsgaststätte begrüßt ihn so herzlich, als ob sie ihn schon Monate nicht mehr gesehen hat. Dabei kommt es gar nicht so selten vor, daß Lahm vorbeischaut. Natürlich nicht mehr so oft wie früher, als er noch hier spielte, aber fast.

Es ist heutzutage wohl die große Ausnahme, daß ein Fußball-Profi regelmäßig zu seinen Wurzeln zurückkehrt, daß er noch immer daheim ist, wo er einst hergekommen ist. Aber Philipp Lahm hat die FT Gern eigentlich nie so richtig verlassen, obwohl er schon seit langen Jahren nicht mehr dort spielt. Für ihn ist der Klub ein Stück Heimat. Es sieht auch noch alles fast so aus wie damals, 1988, als die Karriere von Lahm begann.

„Spaß haben“

Unterschiedlicher könnten die beiden Welten von Philipp Lahm nicht sein. Hier das Vereinsheim der FT Gern. Ein altes Holzhaus an einer vielbefahrenen Ringstraße im Westen der Stadt, das schon seit einigen Jahren dringend einer Renovierung bedarf, und zwei Fußballplätze, von denen einer gerade mit Kunstrasen versehen wird. Zeit wird's. Der Hauptplatz ist vorerst nicht bespielbar, „witterungs- und zustandsbedingt“. Die andere Welt, das ist das moderne Trainingszentrum des FC Bayern München, des erfolgreichsten und mitgliederstärksten Klubs Deutschlands, in einem Villenviertel im Süden der Stadt.

© PICTURE-ALLIANCE/ DPA/DPAWEBSchock vor der WM: Im Testspiel verletzte sich Lahm am Arm

Aber Philipp Lahm fühlt sich hier wie dort zu Hause. Als er nach seiner Rückkehr vom VfB Stuttgart im vergangenen Sommer erst einmal seinen Kreuzbandriß auskurierte und noch nicht ins Mannschaftstraining eingebunden war, hat er kaum ein Spiel der ersten Mannschaft in der Kreisklasse verpaßt. Er schafft es auch meistens, beim Sommerfest und beim jährlichen Jugendturnier dabeizusein, er genießt das Vereinsleben. „In Gern geht es in erster Linie darum, etwas zusammen zu unternehmen und Spaß zu haben.“

„AUFSTEIGER in die Kreisliga“

Und die Gerner, die sind zwar stolz, daß es einer aus ihren Reihen bis in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft geschafft hat. Und „es gibt“, sagt Lahm, „schon mal die eine oder andere Autogrammanfrage“, aber sie behandeln ihn noch immer wie früher. „Ich weiß, daß ich gerne gesehen bin hier.“ Werbung machen sie mit ihm nicht. Auf der Homepage des Klubs findet sich kein Hinweis auf Lahm. Gewürdigt wird ein Aufstieg, den nicht viele mitbekommen haben dürften: „In einem Schlammspiel erster Güte besiegt die FT Gern I den FC Ismaning III sicher mit 5:2 Toren und ist damit Meister der Kreisklasse Gr. 8 und gleichzeitig AUFSTEIGER in die Kreisliga !!!!“

Als Lahm gut vier Jahre alt war, kam er mit einem Kindergartenfreund zum ersten Mal zur FT Gern. Die Lahms wohnten nur einen Katzensprung von dem Gelände entfernt, jenseits der Ringstraße, und fortan war der kleine Philipp sooft es ging dort und schnappte sich einen Fußball. Knapp zwei Jahre später kam er zu den F-Junioren.

Erst ein Sechzger

Bald schon war die ganze Familie in die Vereinsarbeit involviert und ist es noch immer. Der Onkel, Gerhard Haas, ist Zweiter Vorsitzender, die Mama Jugendleiterin, und der Papa, sagt Philipp Lahm, „das ist die gute Seele des Vereins“. Früher war er Trainer bei den Junioren, hat da auch seinen Sohn betreut. Philipp hat damals im offensiven Mittelfeld gespielt und erstaunlich früh mit großer Spielübersicht geglänzt. „Ich glaube, man hat da schon gesehen, daß ich ein bisserl besser bin als die anderen.“ Es hatte deshalb Anfragen der beiden großen Münchner Klubs, TSV 1860 und FC Bayern, gegeben, „aber es war nie ein Thema für mich, den Verein zu wechseln“. Er hatte nicht wie andere Jungen in seinem Alter davon geträumt, einmal Fußballprofi zu werden.

Er hatte auch keinen Lieblingsverein. Der Papa und der Opa sind zwar seither Bayern-Fans, aber die haben Philipp nicht infiziert. Ihm waren die „Roten“ damals so lieb wie die „Blauen“, denn sein Jugendtrainer in Gern war ein „Sechzger“ gewesen und hatte seine Mannschaft auch mal zu einem Spiel der Münchner „Löwen“ mitgenommen. Die Bayern dagegen hatte er zum ersten Mal gesehen, als er mit elf Jahren einmal Balljunge im Olympiastadion sein durfte.

Die ganze Familie war eingespannt

Das hatte er Jan Pienta zu verdanken. Der Nachwuchstrainer des FC Bayern war 1995 beim FT Gern aufgetaucht und ließ sich nicht abschütteln. Philipp kam ob dieser Hartnäckigkeit ins Grübeln. „Viele haben gesagt, der FC Bayern ist deine Chance.“ Seine Eltern haben nichts dazu gesagt, dem Sohn weder zu- noch abgeraten. „Sie haben es ganz mir überlassen.“ Als er sich dann schließlich für den Wechsel entschied, haben sie ihn unterstützt. Denn nicht nur sein Leben änderte sich, sondern das der ganzen Familie. Statt zweimal in der Woche nur ein paar Schritte entfernt von der elterlichen Wohnung zu trainieren, mußte er bei den D-Junioren dreimal, später dann bis zu fünfmal zu den Bayern an die Säbener Straße, fast am anderen Ende der Stadt. „Jeder in der Familie, der einen Führerschein hatte, wurde eingespannt, um mich zu chauffieren.“

Oft sei er mit der Trainingstasche schon in die Schule gegangen, erzählt Lahm. „Da muß man schon auf ein paar Sachen verzichten.“ Zumal die Eltern immer höchsten Wert darauf gelegt haben, „daß ich einen richtigen Schulabschluß mache“. Erst als er die Mittlere Reife in der Tasche hatte, gaben sie sich zufrieden. Lahm ist ganz froh, nicht schon früher dem Werben der großen Bayern nachgegeben zu haben.

Hitzfeld hatte kein Interesse

Der Papa und die Mama waren bei jedem Spiel ihres Sohnes dabei, aber sie gehörten nie zu jenen überehrgeizigen Eltern, die sich lautstark und vehement in die Arbeit der Betreuer einmischen und die die Nachwuchstrainer deshalb am liebsten des Platzes verweisen würden. Beim FC Bayern hat Lahm bald gelernt, sich durchzusetzen. „Zuerst mußte ich nicht um einen Platz kämpfen, später schon. Da kam es schon mal vor, daß ich nicht von Anfang an gespielt habe.“ Lahm gehörte einer überaus erfolgreichen Generation beim FC Bayern an, die die nationale Konkurrenz beherrschte, zweimal nacheinander deutscher A-Junioren-Meister wurde.

Aber der Weg zu den Profis schien noch ein weiter zu sein, denn nur wenig Talente schaffen auf Anhieb den Sprung vom Nachwuchs in die Profi-Kader beim Bundesliga-Primus. Weil Ottmar Hitzfeld auch gar kein großes Interesse an dem flinken Außenverteidiger hatte, schickte ihn sein Trainer in der Regionalliga, Hermann Gerland, zum VfB Stuttgart. Lahms Aufstieg im Schwabenland war ein fast märchenhafter: Er überzeugte Felix Magath mit seinen Dribblings, seiner Ballsicherheit, seinem Drang zum Tor. Weil seine Lieblingsposition auf der rechten Abwehrseite belegt war, spielte Lahm eben links. Kaum hatte er sich beim VfB etabliert, folgte auch schon die Berufung in die deutsche Nationalmannschaft, und auch dort war er schnell eine feste Größe, ehe ihn zunächst ein Beinbruch und dann ein Kreuzbandriß stoppten.

Der alte Philipp

Die Bayern hatten Lahm an den Bundesliga-Konkurrenten nur für zwei Jahre ausgeliehen, und schon nach der ersten Saison war klar, daß sie ihn sich am Ende der Lehrzeit zurückholen würden. Lahm erging es wie vor ihm Markus Babbel. Auch der hatte sich erst in Hamburg bewähren müssen, ehe er in München große Wertschätzung genoß.

Eine solche Karriere verkraften nicht viele gerade dem Teenageralter entwachsene Fußballspieler. Bei Lahm haben die vergangenen beiden Jahre keine großen Spuren hinterlassen. Mit ein paar ehemaligen Kumpels vom FT Gern trifft er sich immer noch privat. Es sei wie früher, sagt Lahm. „Da würde er es auch mit mir zu tun bekommen, wenn es anders geworden wäre“, sagt Gespina Galtanidis, die Vereinswirtin. „Wir sorgen schon dafür, daß er nicht abhebt.“ Und man baut ihn auf, wenn es kleine Krisen gibt wie gerade seine Armverletzung.


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