20040628 Kicker: Interview mit dem Shootingstar

Interview mit dem Shootingstar der Nationalmannschaft Philipp Lahm (20)

28.06.2004, 14:02

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"Die Freunde gingen ins Schwimmbad..."

Er war neben Michael Ballack und Bastian Schweinsteiger einer derjenigen, die bei der EURO in Portugal für positive Akzente sorgten. Philipp Lahm (20) spricht über seine Rolle im Team und seine Zukunft in der Bundesliga.

Ein Lichtblick in Portugal: Überflieger Philipp Lahm.

© Kicker

kicker: Herr Lahm, wie hat Ihr Großvater Hermann das Ausscheiden der deutschen Elf nach der Vorrunde kommentiert?

Philipp Lahm : Wir haben wie so oft nach Spielen telefoniert; er war traurig wie ich. Er hätte mich gerne noch länger in Portugal gesehen. Jetzt freuen sich er und meine Oma, dass ich heimgekommen bin.

kicker: Welche Trikots können Sie ihnen zeigen?

Lahm: Das von van Nistelrooy. Als wir uns verabschiedeten, fragte ich ihn, ob wir tauschen könnten. Er sagte ja. Ein schönes Andenken. Von den Letten habe ich das von dem Einwechselspieler, der über meine Seite kam. Und von den Tschechen von der Nummer 17.

kicker: Wie hat Ihnen Ihr erstes großes Turnier gefallen?

Lahm: Super - wenn dieses frühe Ende nicht gewesen wäre. Und ich habe ganz ordentlich gespielt.

kicker: Überwiegt die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung oder das Gefühl, auch versagt zu haben?

Lahm: Ich habe genauso verloren, also bin ich nicht der Gewinner dieser EM. Dennoch bringt mich dieses Turnier weiter.

kicker: In welcher Beziehung?

Lahm: Ich war so lange wie nie mit einer Mannschaft zusammen, da kann man viel lernen; der Rummel, die Auftritte in der Pressekonferenz . . .

kicker: Haben Sie sich auch als Fußballspieler verbessert?

Lahm: In der Nationalelf sind alle Superspieler. Wir haben auch beim VfB Stuttgart eine starke Truppe, aber im Nationalteam sind es ein paar Stars mehr. Das Niveau ist höher als im Klub.

kicker: Trotzdem reichte es nicht für das Viertelfinale. Was empfanden Sie nach dem Abpfiff?

Lahm: Die totale Enttäuschung, Traurigkeit. Der erste Gedanke war - auf gut Deutsch: Scheiße, was passiert ist. Man weiß, was man angerichtet hat.

kicker: Was bleibt für Sie?

Lahm: Eine immense Erfahrung. Einen Druck wie vor dem Holland-Spiel hatte ich noch nie erlebt.

kicker: Wie bewältigt den ein junger Spieler wie Sie?

Lahm: Oliver Kahn sagte zu mir: Philipp, das ist ein ganz normales Spiel, wie Bundesliga oder Champions League. Spiel' wie immer!

kicker: Haben Sie ihm geglaubt?

Lahm: Natürlich nicht. Jeder wusste, dass es eine ganz besondere Partie war. Wir waren Außenseiter, außerdem spielt man fürs Land.

kicker: Sind Sie Patriot?

Lahm: Ich spiele gerne fürs Land, das wird immer so bleiben.

kicker: Singen Sie die Nationalhymne mit?

Lahm: Immer; schon als kleines Kind, als ich mit meinen Großeltern im Wohnzimmer Länderspiele anschaute, tat ich es.

kicker: Welcher Augenblick war der schönste für Sie bei der EM?

Lahm: Als gegen Holland das 1:0 fiel, ein Supermoment. Uns wurde doch nichts zugetraut. Zudem weiß jeder, wie wichtig der Start ist und dass du bei einer EM nicht verlieren darfst.

kicker: Sind wir damit beim schlimmsten Augenblick?

Lahm: Ja, beim Abpfiff des Tschechien-Spiels.

kicker: Sie begingen das Foul vor dem 1:1. Eine unnötige Aktion?

Lahm: Wenn er aus dem Spiel heraus das Tor erzielt hätte, käme ebenso der Vorwurf. Doch im Nachhinein hätte ich ihn lieber nicht gefoult.

kicker: Wie war Ihr Gefühl, als Völler seinen Rücktritt mitteilte?

Lahm: Für uns junge Spieler ist es schade, weil er uns geholt hat. Ich kam gut mit ihm zurecht, die Älteren hatten mit ihm Erfolge. Völler war sehr nahe bei der Mannschaft.

kicker: Gab's Tränen?

Lahm: Nein, wir sind Profis, es ist so im Fußball. Sein Leben geht weiter, mein Leben auch. Aber ein bisschen traurig war ich schon, Rudi Völler tut mir ein bisschen Leid.

kicker: Warum ist es denn schief gegangen in Portugal?

Lahm: Weil wir das letzte Spiel verloren haben.

kicker: Wieso wurde verloren?

Lahm: Bei der WM hatte die deutsche Elf das Glück, das uns dieses Mal fehlte. Gegen Tschechien trafen wir den Pfosten, auf der Linie wurde gerettet, der Ball ging nicht rein. Wir haben alles versucht.

kicker: Fehlt die Klasse?

Lahm: Würde ich nicht sagen. Wir können guten Fußball spielen, das ist nicht das große Problem. Aber gegen Teams, die hinten drinstehen, fehlt der letzte Tick.

kicker: Warum können Sie als einziger Nationalspieler einen Gegner umdribbeln?

Lahm: Das können mehrere. Mein Vorteil ist meine Schnelligkeit auf den ersten Metern. Und ich hatte die Situationen dazu, Rudi Völler sagte mir, ich solle eins gegen eins gehen.

kicker: Ist die deutsche Nationalelf stark genug für Europas Spitze?

Lahm: Wir sind ausgeschieden, also sind wir es nicht. Das Potenzial für ganz oben haben wir nicht. Aber wenn wir weitergekommen wären, hätten wir es vielen schwer gemacht.

kicker: Muss nun ein personeller Umbruch kommen?

Lahm: Wie Rudi Völler warne ich davor. Wir können jetzt nicht alles über den Haufen werfen, bei der WM dürfen nicht alle Spieler unter 25 sein. Die Mischung muss stimmen, wie es bei der EM der Fall war. Wir brauchen die älteren Spieler, sie müssen uns führen.

kicker: Wer führte in Portugal?

Lahm: Ballack hat viel mit mir geredet, auch Kahn, Hamann oder Ziege, der hinten dranstand.

kicker: Fühlen Sie sich heute als gestandener Nationalspieler?

Lahm: Nein. Ich habe erst neun Länderspiele, zwar alle von Anfang an, aber ich muss weiter meine Leistung bringen, um dabeizubleiben.

kicker: Sie wurden fast als einziger Spieler ausnahmslos gelobt. Wie reagierten die Kollegen?

Lahm: Viele haben gesagt, dass ich eine gute EM gespielt habe. Oliver Kahn riet mir beim Abschied, ich solle mir nicht so viele Gedanken machen, das Leben gehe weiter.

kicker: Wie sehen Sie Ihren Auftrag bis zur WM 2006?

Lahm: Ich habe erst ein Jahr Bundesliga hinter mir und muss meine Leistung konstant halten. Ich bin 20 und muss jetzt nicht nach vorne gehen und die anderen mitziehen.

kicker: Warum schaffen so wenige junge deutsche Spieler den Sprung?

Lahm: Erst in den letzten Jahren wurde auf die Jugend gesetzt, als das Geld weniger wurde. Es gibt überall gute junge Spieler.

kicker: Was müssen die Talente anders oder mehr machen?

Lahm: In Deutschland sind wir zu schnell zufrieden, uns geht es einen Tick zu gut. Auch einstige Mitspieler von mir haben ihr Talent verschwendet. Ich hatte auch nicht immer Lust auf Training, wollte es aber immer packen. Meine Freunde gingen ins Schwimmbad, ich zum Training.

kicker: Wann waren die entscheidenden Phasen?

Lahm: Ab der C-, B-Jugend, ab 14 Jahren. Wenn es in Richtung Herrenfußball geht.

kicker: Werden die zwei Jahre ohne Qualifikation besonders heikel?

Lahm: Nur Freundschaftsspiele zu haben, macht's schwer. Es gibt einen Unterschied zu Pflichtspielen.

kicker: Sollte ein Länderspiel nicht immer motivierend wirken?

Lahm: Schon. Aber auch die Klubs sind erfolgsorientiert. Wenn es in der Liga um alles geht, konzentriert man sich mehr auf diese Aufgaben als auf ein Freundschaftsspiel in Rumänien.

kicker: Warum wird es dennoch besser bis zur WM 2006?

Lahm: Wir haben zwei Jahre Zeit, ein bisschen was zu verändern. Wir werden erfahrener, ein paar junge Spieler kommen noch dazu.

kicker: Haben Sie einen Geheimtipp?

Lahm: Trochowski vom FC Bayern; der kann Fußball spielen.

kicker: Welchen Platz erreicht die Nationalelf bei der Heim-WM 2006?

Lahm: Das ist zu weit weg.

kicker: Mehr als die Vorrunde?

Lahm: Davon gehe ich aus.

kicker: Gehen Sie gestärkt oder gehemmt in die neue Saison?

Lahm: Ich sehe keinen Grund, die neue Runde negativ anzugehen.

kicker: Welche Rolle spielt der VfB?

Lahm: Wir haben das Potenzial, vorne mitzuspielen.

kicker: Was erwartet Ihre früheren Bayern-Kollegen unter Ihrem vormaligen Trainer Felix Magath?

Lahm: Sie werden topfit sein.

kicker: Trainiert er so hart?

Lahm: Es ist ein Unterschied zu anderen Trainern, er legt Wert auf Kondition.

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