20031213/faz Lahm Rendezvous mit der Vergangenheit

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Wenn von den jugendlichen Emporkömmlingen des VfB Stuttgart die Rede ist, werden zuallererst Kevin Kuranyi oder Andreas Hinkel erwähnt. Doch bald danach folgt schon Philipp Lahm.

13. Dezember 2003

Von Rainer Seele


Er hätte einen Staatsmann nennen können oder einen seiner berühmten Berufskollegen; Ronaldo beispielsweise oder Zinedine Zidane. Man hätte wohl auch dafür Verständnis aufgebracht. Aber Philipp Lahm, 20 Jahre alt, beantwortete vor einiger Zeit die Frage, wer die wichtigste Person der Zeitgeschichte für ihn sei, mit: Jesus. Das mag man als bemerkenswert einstufen, als Indiz dafür, daß die Gedanken des jungen Mannes nicht allein um das Areal kreisen, das für ihn zum Zentrum seines Lebens geworden ist. Lahm als frühreif zu bezeichnen, ist nicht allzu weit hergeholt. Das hat jedoch in erster Linie mit dem Eindruck zu tun, den er als Fußballprofi vermittelt. Wenn von den Emporkömmlingen des VfB Stuttgart die Rede ist, von den jugendlichen Protagonisten aus dem Schwabenland, werden zuallererst Kevin Kuranyi oder Andreas Hinkel erwähnt. Doch bald danach folgt schon Lahm, der im Sauseschritt vorangekommen ist im ablaufenden Jahr.

An diesem Samstag begegnet Lahm der Vergangenheit, er tritt mit dem VfB Stuttgart an alter Wirkungsstätte an, beim FC Bayern München. Er präsentiert sich im Olympiastadion als ein Mann, der auf die Schnelle zu einer festen Größe beim Tabellenführer der Bundesliga wurde. Das werden die Münchner mit Genugtuung sehen, obwohl Lahm nun - sportlich betrachtet - zu einer Gefahr für sie werden könnte.

„Der ist sensationell“

Lahm ist Münchner, er absolvierte seine ersten Schritte als Fußballspieler bei der Freien Turnerschaft Gern, wo seine Mutter Jugendleiterin ist. Dort entdeckten ihn die Beobachter des FC Bayern, und sie hatten fortan ihre helle Freude an dem kleinen, nur 1,70 Meter großen Fußballtalent. "Er war schlitzohrig, richtig abgezockt", erzählt Kurt Niedermayer, A-Jugend-Trainer beim FC Bayern. Und Lahm, das beeindruckte den ehemaligen Profi Niedermayer beim alltäglichen Übungsbetrieb ebenfalls, "hatte immer Spaß, den mußte man nie drängen".

Niedermayer ist einer der wesentlichen Förderer des Jungspundes gewesen. Später, als Lahm zur Regionalliga-Mannschaft des deutschen Rekordmeisters stieß, hatte Hermann Gerland diese Rolle inne - und auch er preist die Fähigkeiten Lahms in den höchsten Tönen. Er sei vom ersten Tag an von ihm überzeugt gewesen, sagt Gerland, "der ist sensationell". Doch es gab für Lahm Grenzen in München, der Sprung von der Regionalliga in die Bundesliga, in das exzellent besetzte Ensemble des FC Bayern, ist dort selbst für Hochbegabte im Handumdrehen kaum zu schaffen.

So beschlossen die Münchner, Lahm zu Ausbildungszwecken in die Fremde zu schicken, auf Leihbasis. Gerland sondierte den Markt. "Ich habe die Leute angerufen", sagt er. Gerland handelte sich dabei manche Absage ein, "für einige war er zu leicht". Felix Magath allerdings, den Stuttgarter Fußball-Lehrer, überzeugte er schnell von den Qualitäten des Bayern mit dem Lausbubengesicht, über den Gerland sagt: "Es wäre eine Schande gewesen, wenn er noch ein Jahr Regionalliga hätten spielen müssen." Lahm steht nun bis 2005 beim VfB Stuttgart unter Vertrag; es sei, betont er, das mit Abstand beste Angebot gewesen. Zu den Schwaben zog es ihn nicht zuletzt wegen Magath, von dem er wußte, daß er mit jungen Spielern umzugehen versteht. Um in der Bundesliga Fuß zu fassen, akzeptierte Lahm auch einen Seitenwechsel; der rechte Verteidiger beackert bei den Schwaben das linke Feld. Es spricht für seine Flexibilität, daß er - in der Liga wie in der Champions League - auch diesen Part geschickt auszufüllen weiß.

„Jeder will, daß ich noch länger bleibe“

"Ich habe kein Problem, mit links zu flanken", sagt Lahm. Er verhält sich dazu in brenzligen Situationen bereits erstaunlich selbstsicher, er verfügt, wie er selbst sagt, über eine "ordentliche Technik", und er ist schnell genug, um Attacken initiieren zu können. Eigenschaften, die Gerland zu dieser Aussage bündelt: "Er spielt wie ein Dreißigjähriger." Der gewiefte "Lehrling" Lahm wird noch beweisen müssen, mit solcher Anerkennung und mit den Anforderungen des Alltags, mit den Freuden des Fußballs und auch mit seinen Fährnissen auf Dauer zurechtzukommen.

Vorläufig aber scheint es, als würde er sich tatsächlich auf einer Art Traumreise befinden, die ihn eines Tages auch zu Teamchef Rudi Völler führen könnte - während der FC Bayern darauf setzt, Lahm in zwei Jahren als einen gestandenen Profi, als einen "erstklassigen, kompletten Spieler", wie es Gerland ausdrückt, zurückzuerhalten. Daran aber mag Lahm, der Gerland neulich als ein kleines Dankeschön für seinen Einsatz zwei Stuttgarter Trikots zukommen ließ, noch nicht denken. Er versucht den Augenblick zu genießen, die Akzeptanz in Stuttgart. Vom schwäbischen Publikum, sagt der aufstrebende Münchner, "höre ich eigentlich nur Gutes. Jeder will, daß ich noch länger bleibe." Könnte sein, daß es eines Tages eine Trennung im Schmerz wird von dem Klub, der geholfen hat, Philipp Lahm eine Sehnsucht zu erfüllen.

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