20170917/bild/Merkel und Lahm über Ängste, Fußball

DAS GROSSE INTERVIEW – EINE WOCHE VOR DER BUNDESTAGSWAH

Merkel und Lahm über Ängste, Fußball und Handy-Nutzung

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Quelle: BamS11:56 Min.

Artikelvon: ROMAN EICHINGER, MIRIAM HOLLSTEIN UND KAI TRAEMANNveröffentlicht am17.09.2017 - 11:53 Uhr


Das große Finale unserer Serie „Stars treffen Spitzenpolitiker“: Eine Woche vor der Bundestagswahl stellt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Fragen von Fußball-Weltmeister Philipp Lahm. Es geht natürlich um Fußball, aber auch um Rente, Digitalisierung – und wie Merkel entspannt…

Philipp Lahm muss warten. Die Kanzlerin hat noch ein wichtiges Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Es geht um Nordkorea. Deshalb kann sie erst eine Viertelstunde später als geplant den WM-Kapitän im Kanzleramt begrüßen.

Dafür gibt es eine Extraführung für den Fußball-Star – erst zur Kanzler-Galerie im Flur, dann in ihrem Büro mit Blick auf den Reichstag.

Das habe der Architekt absichtlich so gestaltet, damit die Kanzler immer das Parlament sehen könnten, erklärt Merkel, bevor sie Lahm einen Kaffee einschenkt.

Zum Interview geht es zwei Stockwerke tiefer in den Saal für die Staatsbankette.

Die Interview-Partner im Detail

  • Philipp Lahm

    Am 11. November 1983 als Sohn eines Fernmelde­technikers und einer Jugendleiterin in München geboren, „Fußballer des Jahres“ 2017. Im Sommer beendet der Kapitän der Weltmeister-Mannschaft von 2014 seine Karriere. Bilanz: 8-mal ­Deutscher Meister, 6-mal DFB-Pokal-Sieger, 1-mal Champions-League-Gewinner. 385 Bundesligaspiele hat für den FC Bayern bestritten, dazu 113 Länderspiele. Lahm hat eine Stiftung für benachteiligte Kinder und Jugendliche, ist heute Unternehmer (u.a. Sixtus, Schneekoppe). Verheiratet ist der Bayer seit 2010 mit Industriekauffrau Claudia. Die beiden haben einen Sohn (6 Jahre alt) und eine Tochter (6 Wochen).

    Foto: NIELS STARNICK / BILD AM SONNTAG

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  • Angela Merkel

    Am 17. Juli 1954 in Hamburg als Tochter eines Theologen und einer Lehrerin geboren. Die Familie siedelt nach wenigen Wochen wegen der Pfarrstelle des Vaters in die DDR (Uckermark) über. Nach ihrem Physikstudium arbeitet Merkel an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. Kurz nach der Wende engagiert sie sich beim Demokratischen Aufbruch, wird 1990 Vize-Regierungssprecherin der ersten frei gewählten DDR-Regierung. 1991 wird sie Familien-, später Umwelt­ministerin unter Kanzler Helmut Kohl, 1998 dann CDU-Generalsekretärin. 2000 CDU-Parteivorsitzende. Seit 2005 ist Angela Merkel Bundeskanzlerin. Seit 1998 verheiratet mit dem Chemieprofessor Joachim Sauer, kinderlos.

Philipp Lahm: „Ich sitze heute hier als ehemaliger Fußballspieler, als angehender Unternehmer, als Stifter und als zweifacher Familienvater. Zu jedem Bereich würde ich Ihnen gern Fragen stellen. Beim Fußball habe ich natürlich die WM 2006 in unglaublicher Erinnerung. Wie war das für Sie, damals zum ersten Mal wirklich dabei zu sein, dann auch in der Kabine?“

Angela Merkel: „Das war für mich etwas ganz Besonderes. Als ich Bundeskanzlerin wurde, gab’s immer die Frage: ‚Nun haben wir ’ne Kanzlerin, und die ist ja vielleicht sonst nicht schlecht, aber ob sie was von Fußball versteht?‘ Ich musste dann immer wieder begründen, dass ich auch schon vor der Weltmeisterschaft Fußballspiele gesehen hatte, schon zu DDR-Zeiten. Das fand ich eigenartig. Inzwischen ist das besser, es gibt ja jetzt auch Frauen, die in die Nähe der Teams kommen. Auch Bayern hat eine Frau, die mit der Mannschaft arbeitet. (Die Team-Managerin Kathleen Krüger, Anmerkung der Redaktion).

Die WM hat das Deutschland-Bild verändert, weil die Menschen fröhlich sein konnten und der Mannschaft zugejubelt haben. Das Eröffnungsspiel war in München, Sie haben ein Tor geschossen. Dann das Spiel gegen Polen, da saß ich mit meinem polnischen Kollegen zusammen. Einerseits zittert man für die Mannschaft, auf der anderen Seite muss man diplomatisch sein und darf sich nicht zu sehr freuen.

Zum Kabinenbesuch: Da war für mich wichtig, dass es nicht so aussieht, als wollte ich mich mit Ruhm schmücken, den ich mir gar nicht selbst erworben hatte. Ich habe ja nicht gespielt. Aber ich bin unglaublich freundlich aufgenommen worden und hatte den Eindruck, dass ich in der Kabine kein Störfaktor war.“

Angela Merkel (63) empfängt Philipp Lahm (33) in ihrem 140 Quadratmeter großen Büro im siebten Stock des KanzleramtsFoto: NIELS STARNICK / BILD AM SONNTAG


Lahm: „Für mich waren Ihre Besuche und Ihre Reden in der Kabine immer etwas Besonderes. Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie auf der Tribüne immer Kanzlerin.“

Merkel: „Ich bin ja ein Mensch. Das Endspiel 2014 in Rio de Janeiro war so aufregend, dass ich besser vorher ein Beruhigungsmittel genommen hätte. Mein ungarischer Kollege Viktor Orban hat damals vor dem Spiel zu mir gesagt: ‚Es ist nicht klar, wie es ausgeht.‘ Argentinien sei sehr stark. Das hat mir noch den Rest gegeben. Und dann musste ich ja bis zur 113. Minute warten. Da dreht sich Viktor Orban zu mir um und sagt, jetzt könne ich ganz ruhig sein. War ich aber bis zur 120. trotzdem nicht.“

Angela Merkel und Philipp Lahm kennen sich seit 2006: Damals reiste die Kanzlerin zum WM-Halbfinale nach Dortmund, sprach der Nationalmannschaft nach der Niederlage gegen Italien Trost zu. Kurz danach lud sie die Spieler ins Kanzleramt zum Essen (Backhendl) ein. Lahm und Merkel schätzen sich, das ist auch beim Interview unverkennbar. Während Merkel normalerweise oft allzu routiniert antwortet, lässt sie sich auf Lahms Fragen ein, gibt sehr persönlich Auskunft. Den Ton hat Lahm vorgegeben: Er hat gleich zu Beginn des Gesprächs klargemacht, dass er aus persönlicher Perspektive fragen will und sich bei den Fragen auch Rat aus der eigenen Familie geholt hat.

Gemeinsame Erinnerungen: Merkel zeigt Lahm eine Collage aus Fußballerporträts und Spielszenen, die ihr die Nationalmannschaft nach der WM 2006 geschenkt hatFoto: NIELS STARNICK / BILD AM SONNTAG


Lahm: „Derzeit geht es im Fußball um unheimliche Transfersummen. Sehen Sie das als Gefahr?“

Merkel: „Ich sehe eine Tendenz, bei der man aufpassen muss, dass man den Fußball und die Fußballer nicht überstrapaziert. Es gibt immer mehr Spiele, immer mehr Werbedruck. Ich sorge mich, dass die Freude am Fußball verloren geht, wenn die Bindung der Fans an die Spieler schwindet, weil die von einem Verein zum anderen wechseln. Die Identifikation mit Vereinen ist ja etwas sehr Schönes. Sie beruht aber auf Idolen, die eine gewisse Konstanz aufweisen.“

Im August war der teuerste Transfer in der Fußballgeschichte über die Bühne gegangen: Der Brasilianer Neymar (25) wechselte für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris St. Germain.

Lahm: „Wie schätzen Sie die Vergabe der Weltmeisterschaften nach Russland und nach Katar ein?“

Merkel: „Fifa und Uefa müssen transparent sein. Es sollte so sein, dass die Menschen nicht dauernd die Sorge haben müssen, dass vielleicht doch etwas nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. In den letzten Jahren ist da viel Vertrauen verloren gegangen. Wir können solche Großereignisse zwar nicht nur in Länder vergeben, die unserer politischen Ordnung entsprechen, aber bestimmte Mindeststandards müssen gewährleistet sein. Es darf uns nicht egal sein, wenn für den Bau der Stadien Menschen unter unerträglichen Bedingungen für Hungerlöhne arbeiten müssen, während auf der anderen Seite irrsinnig viel Geld verdient wird.“

Die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar im Jahr 2010 hatte heftige Kritik ausgelöst. Amnesty International wirft dem Emirat zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vor. Als bekannt wurde, dass es auf den WM-Baustellen angesichts der schlechten Behandlung von Arbeitsmigranten mehrere Todesfälle gegeben hatte, geriet auch die Fifa ins Kreuzfeuer.

Lahm: „Wie viel Physikerin steckt eigentlich noch in Ihnen? Wie sehr hat Sie die Naturwissenschaft geprägt?“

Merkel: „In meiner Anfangszeit als Politikerin konnte ich keine langen Reden halten. In der Physik redet man nicht so viel und wenn, hält man nur kurze Vorträge. Mich hat sehr gestört, dass man in der Politik viele Dinge mehrmals wiederholen muss. In der Naturwissenschaft dagegen muss jeder Vortrag etwas Neues beinhalten, sonst ist man fehl am Platz. In der Politik ist die Aufgabe, möglichst viele Menschen mit einer Botschaft zu erreichen. Da reicht eine Rede nicht. Diesen Umstieg zu lernen hat mich einige Zeit gekostet. Heute bin ich manchmal erschrocken, wie lange ich rede.“


Lahm: „Ich habe eine eigene Holding. Da ist eine zentrale Frage: Wie stelle ich da mein Team auf? Haben Sie auch ein festes Team, mit dem Sie Themen besprechen? Oder gibt es da eine bestimmte Person?“

Merkel: „Es gibt eine Vielzahl von sehr, sehr zuverlässigen Beamten, die alle Sachinformationen geben können. Und außerdem gibt es einige wenige Menschen, die mir immer auch die Meinung sagen. Für Politiker besteht die Gefahr, dass die Schwächen nicht mehr so richtig besprochen werden. Da habe ich immer sehr aufgepasst, Menschen um mich herum zu haben, die mir sagen, wenn etwas nicht in Ordnung ist und wo ich besser werden muss, oder mit denen ich auch mal ein Brainstorming machen kann.“

Merkel vertraut nur einem kleinen Kreis von Mitarbeitern. Ihre Büroleiterin Beate Baumann gehört dazu, Medienberaterin Eva Christiansen, Regierungssprecher Steffen Seibert, aber auch Kanzerlamtschef Peter Altmaier. Enge Mitarbeiter wissen: Indiskretionen verzeiht die Kanzlerin nicht.


Lahm: „Gibt es immer noch Situationen, die absolut neu für Sie sind?“

Merkel: „Natürlich. Nehmen wir etwas, das mich im Augenblick sehr umtreibt: Nordkorea und seine Atomwaffentests. Da ist völlig klar: Wir wollen eine diplomatische Lösung. Aber wo könnte ein Ansatzpunkt sein? Wie geht man da vor? Mit wem könnte man sprechen? Auch als vor zwei Jahren die vielen Flüchtlinge kamen, war das eine Situation, auf die ich mich so nicht vorbereiten konnte. Das muss dann in der konkreten Lage entschieden werden. Oder als Griechenland plötzlich die Euro-Krise bestimmte. Politik, das ist im Übrigen das Interessante, besteht oft auch daraus, dass Sie morgens ins Kanzleramt gehen und nicht genau wissen, was bis zum Abend passiert und worauf Sie reagieren müssen.“

Neu ist für Merkel auch der unverhohlene Hass, der ihr bei Wahlkampfveranstaltungen inzwischen regelmäßig entgegenschlägt. Mehrfach ist sie mit Tomaten beworfen worden. In Thüringen wurde ein Wahlhelfer, der ein Merkel-T-Shirt trug, krankenhausreif geschlagen.


Lahm: „Sie haben mit vielen verschiedenen Menschen zu tun, auch mit anderen Staatsoberhäuptern. Haben Sie manchmal einen Hals auf den einen oder anderen?“

Merkel: „Ich sitze da ja nicht mit meiner Familie oder meinem privaten Freundeskreis zusammen. Ich bin die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland und mein Gegenüber ist der Präsident oder die Präsidentin seines oder ihres Landes. Jeder hat seine Interessen zu vertreten. Da von vornherein mit einer hohen Emotionalität ranzugehen, ist nicht richtig. Ich gehe so ran, dass ich sage: Was will ich erreichen? Was ist gut für unser Land? Wo könnten die Gemeinsamkeiten liegen? Die versuche ich dann im Gespräch herauszuarbeiten. Entweder findet man dann einen Weg, oder man muss den Dissens festhalten. Aber es ist wie beim Fußball: Da kann Ihr Gegenspieler bei Borussia Dortmund ein noch so netter Mensch sein. Wenn Bayern gegen Dortmund auf dem Platz steht, dann hilft die Nettigkeit nicht. Dann geht es um die Wahrnehmung der Interessen. Fair und nach den Regeln – aber ich will schon für mich ein Stück abbekommen. Volle Konzentration auf das, was für Deutschland – und oft auch für Europa – wichtig ist.“


Lahm: „Den Unternehmen wird viel von der Regierung vorgeschrieben. Was funktioniert gut, und wo gibt es im internationalen Vergleich Luft nach oben?“

Merkel: „Sie sind in einer Zeit Unternehmer geworden, in der sich durch den digitalen Fortschritt unglaublich viel verändern wird. Das kann in manchen Branchen ein totaler Umbruch sein. Die Kunden bestellen sich ihr individuelles Produkt. Und die digitalen Großkonzerne, die den Konsumenten im Blick haben, kommen größtenteils nicht aus Europa. In Deutschland sind wir immer noch sehr gut in der Produktion. Die große Herausforderung für unsere Unternehmen ist es, die Beziehung zum Kunden nicht den ausländischen Konzernen zu überlassen, die schon sehr viele Daten über die Konsumenten haben. Dafür müssen wir forschen, entwickeln, Start-ups fördern, neue Ideen zulassen. Da es uns einigermaßen gut geht, besteht die Gefahr, dass man sich hierzulande dem Neuen nicht ganz so öffnet, wie es Länder tun, die erst noch aufsteigen wollen. Wir müssen auch das Unkonventionelle sehr fördern.“

Ihren Gästen schenkt Merkel immer selbst den Kaffee ein – ob Fußballstar, Journalist oder StaatsgastFoto: NIELS STARNICK / BILD AM SONNTAG


Lahm: „Ich genieße jetzt meine Freiheit, dass ich nicht mehr von der Mannschaft abhängig bin oder von Spiel- und Trainingsplänen. Wie stressig ist für Sie ein Reisetag?“

Merkel: „Ich weiß, dass ich in einer bevorzugten Situation bin, weil ich nicht von öffentlichen Verkehrsmitteln abhängig bin. Aber dafür ist mein Tag auch immer sehr durchgetaktet. Am besten kann ich damit leben, wenn ich morgens pünktlich anfange und überall pünktlich hinkomme. Aufreibend ist es manchmal, wenn das pünktliche Ankommen nicht damit belohnt wird, dass man auch pünktlich wieder wegfahren kann, sondern dass es dann heißt: Haben Sie noch fünf oder zehn Minuten? Da bin ich eigentlich auch sehr streng.“


Lahm: „Wir in der Mannschaft haben auf Reisen früher gern Karten gespielt. Gibt es für Sie unterwegs auch mal eine Minute, in der Sie mal abschalten? Und haben Sie da eine bestimmte Beschäftigung?“

Merkel: „Wenn ich nicht sehr müde bin, lese ich manchmal. Ich bin jetzt nicht so eine Kartenspielerin, höre aber manchmal im Flugzeug Musik, oder wir sehen einen Film. Aber auch im Flugzeug haben wir zu arbeiten und Vor- oder Nachbesprechungen zu machen. Viel Freizeit gibt es da nicht.“

Eines der letzten Bücher, das Merkel gelesen hat, ist eine 256 Seiten lange Biografie von Julian Barnes über den sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch, der beinahe den Säuberungen Stalins zum Opfer gefallen wäre.


Lahm: „Der stärkste Antrieb für mich ist die Familie. Ihr Wohlergehen ist für mich das Wichtigste. Mein Vater hat sehr früh angefangen zu arbeiten und hatte das Glück, mit 63 ohne Abzüge in Rente gehen zu können. Da ist für mich die Frage: Rente und Pflege im hohen Alter, davor haben viele Leute Respekt. Können Sie den Menschen da die Angst vor der Zukunft nehmen?“

Merkel: „Viele haben Angst, vor der Rente erwerbsunfähig zu werden. Das ist das größte Armutsrisiko. Deswegen haben wir in den letzten vier Jahren zweimal die Rente für die, die zum Beispiel mit 50 oder 55 erwerbsunfähig werden, verbessert, weil diese Menschen vorher hohe Armutsrisiken hatten, obwohl sie vielleicht 30 Jahre gearbeitet hatten. Eine große Herausforderung ist das Pflegesystem.

Viele Pflegekräfte sagen uns: Wir würden viel lieber mehr Zeit für die Menschen haben. Deshalb wollen wir die Personalschlüssel überarbeiten. Auch die Bezahlung ist im Hinblick auf die Belastungen, die dieser Beruf mit sich bringt, nicht angemessen. Ein Teil des Lohnunterschieds zwischen Männern und Frauen hängt in Deutschland auch mit der unterschiedlichen Bewertung der Berufe zusammen, also zum Beispiel Pflegeberufe im Vergleich zu Mechatronikern oder Elektrikern. Wir müssen daran arbeiten, dass die Gehälter schrittweise weiter steigen.“

Seine Fragen hatte Lahm auf mehreren Blatt Papier notiertFoto: NIELS STARNICK / BILD AM SONNTAG


Lahm: „Ich habe das Glück, dass ich in meinem Urlaub auch mal das Handy abschalten und einen Tag später zurückrufen kann. Können Sie es sich erlauben, zu hundert Prozent einfach mal abzuschalten?“

Merkel: „Nein, das geht nicht. Als Bundeskanzlerin bin ich immer im Dienst. Wenn irgendetwas auf der Welt passiert, dann ist es völlig egal, wo ich bin, und ob es Sonnabend ist oder Mitternacht, dann muss ich einsatzbereit sein.“


Lahm: „Haben Sie ein Telefon, das nie aus sein darf?“

Merkel: „Ja, ich bin nachts erreichbar. Wenn ich das Telefon nicht hören sollte, habe ich jemanden, der mich findet. Auch im Urlaub habe ich immer ein Büro dabei und einen Mitarbeiter, der für mich die Anrufe so sortiert, dass ich gewichte, was sofort passieren muss und was ein paar Stunden warten kann. Die meisten Dinge können warten, aber ich musste auch schon einmal auf einer Berghütte telefonieren, als ich dort gerade mit letzter Kraft angekommen war.“ (lacht)


Lahm: „Wie viele Tage im Jahr sind Sie Angela Merkel?“

Merkel: „365.“


Lahm: „Gibt es für Sie auch eine Art Alltag?“

Merkel: „Sie meinen, wann ich Privatperson bin? Dadurch, dass ich immer im Dienst bin, muss ich immer und überall damit rechnen, fotografiert zu werden, und dass gefragt wird: Was tut sie da? Das kennen Sie sicherlich auch. Ich versuche, samstagabends immer zu Hause zu sein und nicht groß auszugehen. Dann koche ich etwas. Ich gehe auch im Supermarkt einkaufen, das lasse ich mir nicht nehmen. Auch dort werde ich öfter fotografiert. Selfies mache ich im Supermarkt allerdings nicht mehr, wegen unangenehmer Erfahrungen. Das hat alles so durcheinandergebracht, dass ich zum Schluss falsche Sachen im Korb hatte. Aber wenn ich in meinen Beeten Unkraut zupfe, dann achte ich natürlich nicht so auf meine Frisur.“


Lahm: „Eine letzte Frage, weil wir so kurz vor der Wahl sind. Wie erleben Sie den Wahltag? Sind Sie da enorm nervös? Für mich ging es immer nur um ein Spiel, und entweder man gewinnt’s oder man verliert’s, aber für Sie geht es ja um die nächsten vier Jahre.“

Merkel: „Erst mal kann man ausschlafen, aber so besonders gut schlafe ich da nicht. Und dann ist es wie vor einem großen Fußballspiel: Man wartet, dass der Zeitpunkt kommt, an dem man weiß, wie es ausgegangen ist. Bis zum Sonnabend kann ich noch etwas tun, danach bin ich zur Passivität verurteilt. Das ist der Unterschied: Sie warten auf ein entscheidendes Spiel und dann können Sie alles, was Sie haben, geben. Das passiert bei mir in der Zeit vorher, beim TV-Duell, bei den öffentlichen Auftritten, bei so einem Interview. Danach ist nur noch Warten und Gucken. Das ist wie Zeugnisvergabe.“

Das sagt Lahm nach dem Interview über Merkel

„Natürlich ist es etwas ganz Besonderes, mit der Kanzlerin so kurz vor der Wahl zu sprechen. Ich hatte den Eindruck, dass sie auch an meinen Fragen interessiert ist und daran, wie ich Dinge sehe. Ich glaube, das ist das Schönste, was man von der Politik erwarten kann: dass man ehrlich antwortet, aber vor allem auch menschlich. Politik und Fußball sind zwei verschiedene Sachen, aber ich glaube trotzdem, dass man von beidem vieles lernen kann. Es geht immer ums Team. Jeder Einzelne muss seine Leistung bringen, auf verschiedenen Positionen.“

Foto: NIELS STARNICK / BILD AM SONNTAG


Der nächste Kanzlerinnen-Termin wartet, Merkels Sprecher Steffen Seibert steht schon mit drängendem Gesichtsausdruck an der Seite. Merkel dagegen wirkt, als hätte das Gespräch noch etwas länger dauern können. Doch draußen wartet bereits eine Delegation der Freiwilligen Feuerwehr Ahrenshoop.

Die Besucher freuen sich doppelt: Sie begegnen bei ihrem Berlin-Besuch jetzt nicht nur der Kanzlerin, sondern gleich noch dem ehemaligen DFB-Kapitän.


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